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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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stand es kaum in der Stube, da brach der Weltkrieg aus, der erste, noch nicht so schrecklich wie der zweite, aber dennoch schrecklich über alle Maßen. Schon damals gegen Rußland, und dann die Grabenkämpfe bei Verdun, wo Anna Jaroschs Söhne in Stücke gerissen wurden und auch ihr Schwiegersohn Ludwig Müller verschwand. Sie erduldete es, was sollte sie sonst tun, erduldete Krieg und Nachkriegszeit und blieb am Leben. Sie war sechsundfünfzig bei Margots Geburt, nicht verhungert, nicht erfroren, auch nicht an Tränen erstickt.
    Nach den Wirren der Inflation florierte ihr Handel besser denn je, zumal sie neuerdings auch Sülzwurst und Sauerfleisch im Sortiment führte, ebenfalls nach Marie Asmussen, und Schmalz mit Äpfeln, Zwiebeln und so knusprigen Grieben, wie niemand sonst sie zustande brachte. Immer noch ein Hökerhandel von Haus zu Haus, aber zu den Kunden gehörte auch ein Lebensmittelgeschäft im dreißig Kilometer entfernten Stargard, wo man allerdings eigene Etiketten auf die Gläser klebte, um Anna Jaroschs Urheberschaft im dunkeln zu halten, und außerdem die Preise zu drücken verstand. Dennoch, was übrigblieb, ersparte ihr die Rackerei beim Bauern und in den Waschküchen, und unter dem lockeren Dielenbrett in der Stube lagen schon wieder ein paar Groschen für schlechte Zeiten. »Klein Handel besser wie groß Arbeit«, eine von Anna Jaroschs Lebenserfahrungen, die sie versuchte, an Tochter und Enkelin weiterzugeben, »und große Handel noch besser. Mußt machen große Handel.«
    Ob Hedwig ihrem Rat gefolgt wäre? Wer soll das wissen, Hedwig blieb keine Zeit, sich zu entscheiden. Und Margot? Noch ist sie winzig, kaum einen Tag alt gerade, ihr Leben soll auf den Weg gebracht werden, den richtigen Weg, das war es, was Anna Jarosch wollte.
    Sie stand vor dem Beamten, beladen mit ihrer Geschichte, aber aufrecht, keine Demutshaltung mehr, und sagte: »Nichts Polackei. Wohne in Pyritz vierzig Jahre, habe gehabt deutschen Mann und deutsche Söhne, Erich undjohann, beide gefallen in Krieg für Vaterland, warum Mutter von tote Helden beleidigen?«
    Gezielte Worte, passend für den Mann hinter dem Schreibio tisch, ein Polenverächter, sie spürte es in den Poren, mit jener vaterländischen Gesinnung, die sie schon als Kind gefürchtet hatte, wenn der Gutsverwalter auf den Kartoffelacker kam. Keine Worte jedoch für sie. Ihrer Trauer gab sie andere, cholera psa krew, verfluchter Hundesohn, worin alles eingeschlossen war, was mit Säbeln rasselte und Söhne in den Tod trieb. Aber man mußte mit den Wölfen heulen.
    »Warum Mutter von tote Helden beleidigen«, sagte sie also, mit List, doch auch ängstlich, denn ganz sicher konnte man niemals sein, und fügte, als der Beamte sie stumm musterte, schnell hinzu: »Möchte bitten um Vergebung.«
    Das war schon nicht mehr nötig.
    »Zwei Söhne?« fragte er.
    Sie nickte verwundert, denn sein Dienstgesicht begann sich aufzulösen.
    »Wir auch«, sagte er. »Unsere einzigen.«
    Er senkte den Kopf, womöglich der Tränen wegen, dachte Anna Jarosch voll Erbarmen und murmelte: »Wird Gott wissen, warum.«
    »Fürs Vaterland«, sagte er, eine Bestätigung, daß sie die richtigen Worte gewählt hatte.
    Doch was nützte es. Gemeinsames Leid, gemeinsame Trauer, dieser unerwartete Konsens über den Schreibtisch hinweg, nichts nützte angesichts von Gesetzen, die Margot nicht nur den Status der ehelichen Geburt verweigerten, sondern sogar den Namen ihrer Mutter.
    »Jesusmaria«, flüsterte Anna Jarosch. »Was sagen? Jarosch? Muß Kind heißen Jarosch? Nicht Müller? Und jeder gleich merken Schande?«
    Er verstünde es ja, versicherte der Beamte, und was ihre Tochter beträfe, eine junge Frau ohne Mann...
    »Ist wie junge Kuh«, sagte Anna Jarosch, »wird wild, wenn Zeit kommt.«
    Der Beamte nickte, lächelte auch, zeigte aber keinerlei Bereitschaft zu dem, was Anna Jarosch als »kleine Schmuschmu« ins Gespräch brachte.
    »Dieses Ansinnen will ich nicht gehört haben«, wies er sie zurecht, schon wieder etwas dienstlicher, vielleicht sogar den Gedanken Polackei im Hinterkopf.
    »Ist nicht Ansinnen«, sagte sie, »ist Guttat. Gehen wir wohnen nach Stargard oder Stettin, wird keiner wissen davon, und hat Kind bessere Leben.«
    Ihre Stimme begann zu zittern vor Inständigkeit. Sie stand da in ihrem schwarzen Kleid, mit den breiten Hüften und dem schlaffen Busen der alten Ackerfrauen, das Haar grau und dünn und ein Gesicht, als sei der Pflug darüber hinweggegangen. Doch, sie muß
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