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Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen
Autoren: Nicole Zepter
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Prolog
    Wer Kunst liebt, darf Kunst hassen. Alles andere ist verlogen. Doch genau diese Verlogenheit ist das Mittel, das den Kunstbetrieb zusammenhält. Das muss man verstehen: Kunst wird nicht gehasst. Kunst wird eingeordnet, in Referenz gesetzt und mit mehr oder weniger Bedeutung aufgeladen. Die Verlogenheit ist Teil des sozialen Gefüges. Ein Satz wie »Tolle Ausstellung!« auf einer Vernissage ist das Mittel, das genutzt wird, um ins Gespräch oder wieder aus dem Gespräch herauszukommen. Das Plakat mit den Worten »Jeder Event ist ein Diskurs« an der Wand eines Berliner Off-Spaces ist eine Koketterie, die erwartet wird, jedoch keine ehrliche Aussage. Es ist ein Mitmachen, ein Miteinander, das auf eine Aussprache verzichtet. Der kleine Band I Like Your Work. Art and Etiquette (Paper Monument) beschreibt den Versuch, diesen Verzicht zu kultivieren. Um dem Titel des Buches gerecht zu werden, fehlt jedoch eine Erweiterung: I hate your work.
    Das wäre genau die Lösung, um endlich mal wieder mit einem angenehmen Gefühl aus einer Ausstellung zu kommen. Kunst muss mutig sein, um gut zu werden. Sie muss alles riskieren und spielen, um alles wieder verlieren zu können. Kunst muss falsch sein dürfen. Doch wie kann sie das, wenn es falsch nicht gibt? Die Kunst steckt fest in einem tiefen sakralen Horror, gefangen im Irrglauben an das Genie und den Wahnsinn, festgefahren in musealer Architektur und sehr vielen White Cubes. Kunst manifestiert einen kulturellen Wandel, sie maskiert heuteeinen Stillstand, einen Markt und lauter Albernheiten. In den meisten Ausstellungen überfällt einen deshalb nicht mehr Begeisterung, sondern stille, diskrete Scham. Langweilige, sich wiederholende Ideen, Kopien von Kopien, zusammengezimmerte Installationen, gekrönt von Textbeschreibungen, die so schlecht sind, dass sie eigentlich schon wieder das Beste an der ganzen Ausstellung sein könnten.
    So steht man in einer Berliner Galerie vor einer irgendwo schon einmal gesehenen Aneinanderreihung zusammengenähter Stoffreste, die mit Strumpfhosen zu einem Zelt gespannt sind. Dann sieht man auf den Pressetext und liest: »Dwyers Interesse gilt seit mehreren Jahren dem Okkulten.« Daneben eine Glitzerpapier-Installation. Einer der Reifen aus Silberfolie hat sich gelöst und klebt unter der Decke. Man liest weiter: »Die aktuelle Installation hebt ihr Interesse an Magie und Parallelwelten auf ein neues Niveau.« Wenn man dann in der nächsten Ausstellung vor einer Leinwand steht, die eine Holzhütte im Wald zeigt und liest, »dass innerhalb des Abstrakten eine dürre Landschaft erblüht und eine explizite Zeichensetzung die Darstellung mit allegorischen Referenzen anfüllt, die zum Beispiel auf Gewalt, eine entfremdete und emotional losgelöste Jugend, die Psychoanalyse, Träume oder die Philosophie der Frankfurter Schule (Fromm, Adorno) sowie das Unheimliche anspielen«, dann fragt man sich, wie viel Dummheit und Arroganz hinter diesen Worthülsen stecken muss.
    Wenn Ausstellungshäuser wie die Deichtorhallen in Hamburg sich mit den Einkäufen der Sammlerin Julia Stoschek zu einer Supermarktästhetik hinreißen lassen, in der der Besucher weder sein eigenes, noch irgendein Wortin den Videos, noch die Idee der Ausstellung versteht und es kurz danach mit dem White Bouncy Castle krönt, einer Hüpfburg, in der man nun einmal ganz gut hüpfen kann, die Ausstellungstexte aber verseucht sind von Superlativen (»das legendäre White Bouncy Castle«, »größte Hüpfburg der Welt«, »des führenden Choreographen weltweit«), dann kann es lächerlicher und inhaltsleerer nicht werden. Wenn man durch die Räume des Hamburger Bahnhofs läuft und sich in den Beuys-Räumen fragt, ob Beuys bei dem Anblick auch so traurig gewesen wäre, dann stimmt es hinten und vorne nicht mehr. Und wenn einem dann noch auf der documenta 12 , der vorletzten, die schlampig »kuratierte« Aufhäufung von Kunstwerken in den stickig überfüllten Provisorien der Karlsaue allen Sinn und Verstand für die Kunst austreibt, dann möchte man dem ganzen Betrieb ein Schild umhängen, auf dem »Please kill me« steht und schreiend davonlaufen.
    Es geht aber viel einfacher: Man muss einfach nur dagegen sein. Zunächst einmal schon aus Prinzip, weil man genau dazu eigentlich gar keine Chance hat. Kunst hassen ist ein Tabu. Ein Verrat. Und er kommt in ungelenken Formen: populistisch, verallgemeinernd, laut und trotzig. Er ist das Produkt einer enttäuschten Liebe. Und er ist eindeutig.
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