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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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flehen. Hin und wieder hatte sie, man konnte nie wissen, Margot mitgenommen, so, wie sie auch abends gemeinsam das Ave Maria beteten, zum Ausgleich aber fast bei jedem sonntäglichen Gottesdienst nebeneinander in St. Spiritus saßen, eine Doppelgleisigkeit, die nun mit dem Schulanfang enden sollte. »Muß Malenka wissen, wo hingehört, nicht heute Knall und morgen Fall«, so Anna Jaroschs Worte zu Frau Dobbertin, was diese sinngemäß ebenfalls für richtig hielt.
    »So ’ne hübsche Kleine«, sagte sie zuversichtlich, während ihr Mann die bunte Zuckertüte mit Sahnebonbons, Nappo und Stundenlutschern füllte, »adrett und so gewitzt, wird schon alles werden.«
    Dobbertins hatten in der Ladentür gestanden und gewinkt, als Margot an der Hand ihrer Großmutter davonging. Die rote Schleife wippte, blonde Zöpfe fielen ihr fast bis zur Taille, und die Lehrerin, bei der sie ihren Knicks ablieferte, lächelte: »Das ist unsere Margot? Du siehst aus wie ein braves Mädchen, Kind, es gefällt dir ganz gewiß bei uns.«
    Gefiel es ihr? Ja, sagte sie, es war ohnehin nicht üblich, eine solche Frage zu verneinen, und es freute sie auch, ein neues Kleid und neue Geschichten jeden Tag und nichts, wovor sie sich fürchtete, obwohl man ihr, einem Kind der Kleinen Wollweberstraße, die Vaterlosigkeit schon um die Ohren gehauen hatte. Aber noch war es nicht unter die Haut gegangen. Morgens hüpfte sie mit ihrem Ranzen die Heilig-Geist-Straße entlang in die Schule, lernte gern, lernte schnell, begann schon Sätze zu lesen, als die anderen sich noch mit OTTO und LAURA abmühten, brauchte keine Finger zum Rechnen, sang am klarsten, malte die buntesten Bilder und rückte, ganz ohne Ehrgeiz, der hielt sich noch verpuppt, auf den ersten Platz, oben rechts im Klassenzimmer. Dort verdrängte sie Rosemarie Hamel, Tochter des Rechtsanwalts und Notars, ein Grund für deren Mutter, ihre langjährige Kundschaft bei Anna Jarosch zu kündigen. Diese nahm es klaglos hin. »Ist Wunder«, sagte sie atemlos zu Frau Dobbertin. »Woher hat Kind solche Kopf?«
    Margots erstes Schuljahr. Noch ist sie im Stande der Unschuld, geborgen unter ihrer Hülle. Doch das Gewebe zeigt Brüche, bald wird es auseinanderreißen, das Ende des Paradieses.
    Der Engel mit dem Flammenschwert erschien für Margot in Gestalt eines etwas dümmlichen Kindes mit dunklen, neugierigen Knopfaugen, Doris Hoppe. Sie saß in Margots Klasse, irgendwo in den hinteren Bankreihen, Schulwelten entfernt, die Tochter von Sattler Hoppe aus der Seestraße, mit dem Anna Jarosch in Fehde lag. Es ging dabei um ihr Sofa, das er neu gepolstert und bezogen hatte, tadellos, jedoch mit einem anderen und vor allem teureren Stoff als ausgemacht, den zu bezahlen Anna Jarosch sich weigerte. Harte Worte fielen, von ihrer Seite auch wieder das bewußte cholera psa krew, dem mehrsprachig fluchenden Hoppe nicht fremd, fatalerweise.
    Kurz, ein irreparables Zerwürfnis, Margot kannte es sogar, aber den Namen Hoppe gab es mehrmals in Pyritz, und mit dem Mädchen aus ihrer Klasse brachte sie ihn nicht in Verbindung. Doris dagegen wußte, wen sie vor sich hatte. Ob sie, klein wie sie war, sieben Jahre erst, deswegen stehenblieb, eines Nachmittags auf der Stettiner Straße, wo Margot ihr zufällig entgegenkam, mit ihr zu schwatzen begann, neben ihr herlief, obwohl die Seestraße nicht in dieser Richtung lag, bei ihr blieb bis zum Dobbertinschen Haus und dort verlangte, ihre Puppe zu sehen? Möglich, aber wer weiß schon, warum er plötzlich glaubt, vom Weg abweichen zu müssen. Es ist auch nicht wichtig, jeder andere hätte es sein können an Doris Hoppes Stelle, doch nun war sie es.
    Margot tat, was die andere wolte, sie tat es gern, sie hatte keine Freundin, da ist eine gekommen, dachte sie und nahm Doris mit in den ersten Stock, wo Anna Jarosch, die nur den Vornamen hörte, im übrigen auch gerade mit einer Partie Blutwurst beschäftigt war, jedem ein Marmeladenbrot und Malzkaffee gab. Doris Hoppe aß und trank, inspizierte Wohnung und Puppe, drehte an der Spieluhr, einem Weihnachtsgeschenk von Dobbertins, und ließ ein paar Glasmurmeln über den Boden kullern. Dann stand sie auf und ging.
    Margot lief hinter ihr her.
    »Kommst du wieder?« fragte sie draußen auf der Straße, voller Zuversicht, denn sie hatte Doris auch noch eine Murmel geschenkt. »Morgen?«
    Doris Hoppe schüttelte den Kopf.
    »Überhaupt nicht mehr.« Es klang bedächtig, weder laut noch leise, so, als ob es sich um eine ganz alltägliche
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