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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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Mitteilung handele. »Überhaupt nicht«, sagte sie, »bei euch stinkt’s, und du hast nicht mal einen Vater und bist ja ein Baster.«
    Die Zeit stand still einen Moment lang, der Himmel verdunkelte sich, der Wind hörte auf zu wehen. Dieses Wort, das Margot nicht kannte, nicht zu kennen brauchte, weil sie trotzdem alles wußte, Baster, etwas Schreckliches, Ungeheuerliches, unsagbar und doch gesagt, und nun war es da und mußte bleiben und mit ihr gehen. Sie fragte niemanden nach der Bedeutung, kapselte es in sich ein wie eine Geschwulst, da blieb es, nichts war mehr wie zuvor.
    Drinnen im Hausflur roch sie bereits Dobbertins Käse, dann weiter oben den säuerlichen Dunst von Anna Jaroschs Blutwurst. Sie schämte sich, daß es dort, wo sie wohnte, so roch, und abends beim Ave Maria fing sie an zu weinen.
    »Was ist, Malenka?« fragte Anna Jarosch.
    Ihre Betten standen nebeneinander, und sie legten sich auch meistens zur selben Zeit hin, gegen acht, nur in den hellen Nächten des Sommers wurde es später.
    Margot antwortete nicht. Erst als ihre Großmutter die Frage wiederholte und dann Margot zu sich hinüberzog an ihr Barchenthemd, durch das die Wärme der Haut zu spüren war und der weiche Bauch, sagte sie: »Bei uns im Hause stinkt’s.«
    »Wer sagt, daß stinkt?« fragte Anna Jarosch und versuchte, Margot zu beruhigen: »Soll stinken, Malenka. Ist gutes Haus mit gute Leute, und besser Haus stinkt und nicht Herz.«
    Es nützte nichts, Margot weinte weiter.
    »Leben Dobbertins von Käse und du von Wurst«, sagte Anna Jarosch. »Bei Bauer stinkt Misthaufen noch mehr, und ist Mist Gold für Acker.«
    »Aber bei anderen Leuten stinkt es nicht so wie bei uns«, rief Margot verzweifelt. »Warum wohnen wir nicht in einem anderen Haus?«
    Anna Jarosch schwieg. »Mußt du suchen andere Großmutter, Malenka«, sagte sie dann, und Margot drückte sich fester an sie, sususu, murmelte Anna Jarosch, so schliefen sie ein, dicht beieinander, und das Schlimme war nicht mehr ganz so schlimm, wenn auch noch schlimm genug.
    Am nächsten Morgen band Anna Jarosch die Schleife an Margots Kleid, immer noch das blaue und schon etwas zu kurz mittlerweile, obwohl die Näherin Rosa Klingbeil ein Stück angesetzt hatte. Margot war gewachsen in diesem einen Jahr, die Beine vor allem, und auch das Gesicht war länger und schmaler geworden.
    »Und so schöne blaue Augen«, hatte Frau Dobbertin erst kürzlich festgestellt, »ist nicht bloß ’ne hübsche Kleine, wird auch mal ’ne hübsche Große, genauso hübsch wie die Mutter«, und Anna Jarosch wußte nicht, ob sie das für einen Segen halten sollte.
    »Mußt lernen, Malenka«, sagte sie, während sie die Schleife festzog, »viel lernen und kluge Mensch werden, dann brauchst nicht Käse und Wurst, verdienst Geld mit Kopf. Kopf wichtigste in Leben.«
    Margot nahm ihren Ranzen und ging. Ob sie sich damals schon vornahm, dem Rat ihrer Großmutter zu folgen? Vielleicht, bestimmt sogar, wenn auch noch nicht mit dem Kopf, auf den Anna Jarosch setzte. Sie ging aus dem Haus, ohne Frau Dobbertin zu bemerken, die ihr zuwinkte, ging langsam durch die Heilig-Geist-Straße, viel langsamer als sonst, nicht in der Mitte, sondern den Bordstein entlang, Schritt für Schritt die Balance haltend, voller Wut und Trotz und der Sehnsucht, sich zu erheben über alle, die mit Fingern auf sie wiesen. Es war der Tag, an dem sie anfing sich vorzustellen, eine andere zu sein, nicht mehr Margot Jarosch, eine andere, eine bessere, ein besseres Kind, wie ihre Großmutter es nannte. Immer neue Gestalten, die sie sich suchte: Rosemarie Hamel aus der Villa in der Arnswalder Straße. Inge Jädecke mit den vielen schönen Kleidern und einem Vater, der im Auto fuhr. Und dann wieder Lore Möller, die Tochter von Dr. Möller in dem großen Haus am Markt, wo Margot, als sie eine Schüssel Sülze abliefern mußte, das Eßzimmer zu sehen bekam, die geschnitzte Pracht des Büfetts, hohe dunkle Stühle, Stuckgirlanden, Kronleuchter, Samtvorhänge, Silber, Kristall, bemalte Vasen. Sie drehte an dem Zauberring, fortan gehörte alles ihr, sie hatte es mitgenommen, Inventar für das Wolkenhaus jenseits vom Paradies.
    Was Doris Hoppe betraf, die sie daraus verstoßen hatte, so wechselte Margot nie mehr ein Wort mit ihr, verlor sie später, als sie ins Lyzeum kam, auch aus den Augen, wurde das Gesicht aber niemals los. Es kehrte zurück, seltener mit der Zeit, schien verschwunden und kam dennoch wieder, immerwährend sieben Jahre alt, ein
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