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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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unerledigtes Gesicht sozusagen, obwohl es Doris Hoppe schon längst nicht mehr gab. Sie wurde im Februar 1945, als Pyritz unterging, zusammen mit ihrem Vater, dem Sattler, von einer russischen Granate getötet, neunzehn erst, ein bißchen dümmlich, ein bißchen tückisch und ohne etwas von den Spuren zu wissen, die sie hinterlassen hatte.
    Als Pyritz unterging. Es muß davon gesprochen werden, als Teil von Margots Geschichte, die nicht zu trennen ist von Pyritz, vielleicht nicht einmal erzählt zu werden brauchte, wenn Pyritz geblieben wäre, was es war, eine rechtschaffene deutsche Kleinstadt, Türme, Tore und Gemeinwesen intakt, keine Toten und Vertriebenen, bewohnbar weiterhin für alle, auch für jene, die
    Löwenthal hießen, Markus, Salomon, Moses Hahn und die als erste davongejagt wurden aus einer Heimat, die doch auch ihnen gehörte.
    Der Untergang von Pyritz, jene neunzigprozentige Zerstörung, der das Lexikon nur eine magere Zeile widmet, war von Anna Jarosch bereits 1938 prophezeit worden, und zwar am Morgen nach der Kristallnacht, als sie aus der Haustür trat und am anderen Ende der Kleinen Wollweberstraße die immer noch brennende Synagoge sah, davor SA-Männer in Braunhemden, mit Sturm- und Schulterriemen, die alle Lösch- und Bergungsversuche unterbanden.
    Anna Jarosch hatte eine Weile in die Flammen gestarrt und, da hier immerhin ein Gotteshaus brannte, stumm das Vaterunser gebetet, mehr wagte auch sie nicht. Anschließend war sie, am verwüsteten Laden des Lederjuden Markus vorbei, in die Kleine Papenstraße geeilt, um nach David Mossel zu sehen, dem Altwarenhändler, bei dem sie außer Küchenschrank, Sofa und Vertiko noch manches andere Stück gekauft hatte, stets vorteilhaft und zu ihrer Zufriedenheit. Sie fand ihn draußen vor dem Kellergeschäft, wo er, angetrieben von SA-Stiefeln, unter den Augen betretener, zum Teil aber auch johlender Zuschauer die Scherben und Trümmer seines Warenlagers beiseite räumte. Verängstigt hatte sie auch hier geschwiegen, nur versucht, ihm durch Blicke Sympathie und Erbarmen zu bekunden, und erst zu Hause, im Laden von Dobbertins, ihren Zorn losgelassen. »Wird nehmen schlechte Ende mit Stadt, brennt eine Scheune, brennt bald nächste, jetzt Sodom, morgen Gomorrha!« rief sie dermaßen außer sich, daß Frau Dobbertin sich erschrocken nach möglichen Lauschern umsah und Anna Jarosch ermahnte, die Zunge zu hüten, es sei doch inzwischen bekannt, was passierte, wenn dergleichen an die falsche Adresse käme, und die Partei habe die Ohren überall.
    Else Dobbertin wußte, wovon sie sprach. Ihr Mann nämlich war ebenfalls der Partei beigetreten, wenn auch keineswegs innerlich, wie er Anna Jarosch anvertraut hatte, sondern nur seines Harzer Käses wegen, weil man ihm etwas von Großlieferungen an die Wehrmacht eingeflüstert hatte, so daß er sich schon als Fabrikant sah, mit Firmenschild und Lastwagen, und keine Heringe mehr und Hoffmanns Stärke und Kaffee viertelpfundweise. Leere Versprechungen, wie sich zeigte, aber nun gehörte er dazu und kam nicht wieder heraus, mitgefangen, mitgehangen, sagte er verbittert in der Annahme, dies sei nur eine Redensart, und nannte hinter verschlossener Tür die ganze Hitlerwirtschaft einen Volksbetrug.
    Anna Jarosch verstand nichts von Politik. Doch die Schreckensbilder des Vormittags bestätigten ihr Mißtrauen, das sie diesem Hitler von Anfang an entgegengebracht hatte, und zwar seiner Herkunft wegen. Österreicher, was konnte von dort schon kommen. Nichts Gutes, dessen war sie sicher, obwohl ihre Kenntnisse sich allein auf eine Nachbarsfrau aus ihrem ehemaligen Dorf stützten, die, in der Gegend von Krakau beheimatet, haarsträubende Dinge vom österreichischen Garnisons- und Manövertreiben zu berichten wußte, wodurch sie Anna Jarosch ein für allemal die Überzeugung mitgab, daß es sich bei den Angehörigen dieser Truppe ausnahmslos um Saufbolde, Mädchenschänder und Schweinediebe handelte. Und als Frau Dobbertin meinte, derartiges könnte man dem Führer ja nun doch nicht vorwerfen, erklärte sie mit geradezu wilder Endgültigkeit: »Hat er angesteckt Synagoge, ist Verbrechen vor Gott, mehr wie gestohlene Schwein, und wird kommen Rache.«
    Margot, die daneben stand, begehrte gegen ihre Großmutter auf, denn in der Schule klang es anders, auch bei den Heimabenden der Jungmädel, wohin Anna Jarosch sie gehen lassen mußte, weil alle hingingen, in dunkelblauen Röcken und weißen Blusen, am Hals das schwarze Dreiecktuch
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