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Mr. Fire und ich (Band 6)

Mr. Fire und ich (Band 6)

Titel: Mr. Fire und ich (Band 6)
Autoren: Lucy Jones
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1. Geiselnahme
    „Dein Bruder ist verschwunden.“
    Diese vier Worte reichen aus, um Daniels Gesicht erbleichen zu lassen.
    Er hat Angst, das ist offensichtlich, aber wovor?
    Dennoch gewinnt der Tercari-Führer sehr schnell wieder die Oberhand. Daniel findet die Selbstbeherrschung wieder, so wie man ein Bühnenkostüm überstreift. Er muss die Situation verstehen, um damit umgehen zu können. Also bombardiert er Haydée mit Fragen:
    „Wie das, verschwunden? Kann er sich denn alleine fortbewegen? Seit wann ist er nicht mehr gesehen worden? Waren Sicherheitskräfte da?“
    Falls sich die junge Frau an dieser Flut aus Fragen stören sollte, lässt sie sich nichts davon anmerken. Im Gegenteil, sie beantwortet einen Punkt nach dem anderen:
    „Ich habe Jérémie seit heute Mittag nicht mehr gesehen, was ungewöhnlich ist, denn normalerweise geht er erst nach seinem Mittagsschlaf hinaus. Dein Bruder“ – auf dieses Wort scheint sie besonderen Wert zu legen – „ist durchaus in der Lage, sich im Rollstuhl fortzubewegen ...“
    „Man hätte gesehen, wie er fortgegangen ist!“, protestiert Daniel.
    „Oder mit Hilfe eines Gehstocks“, fährt Haydée unbeirrt fort. „Davon wollte ich dich in Kenntnis setzen, als ich vor ein paar Tagen das letzte Mal versucht habe, dich zu erreichen.“
    An diesen Anruf kann ich mich erinnern. Der Beginn meiner Sorgen ... Wie lang scheint das inzwischen her zu sein!
    Daniel nimmt ihre Bemerkung hin.
    „Außerdem ist der Ort, an dem sich Jérémie aufhält, ein Pflegeheim und kein Gefängnis“, schleudert ihm Haydée vorwurfsvoll entgegen. „Er darf hinausgehen, wann er will, ohne den Pflegern Rechenschaft abzulegen.“
    Ich weiß nicht, in welchem Verhältnis Haydée zu Daniels Bruder steht, aber es ist offensichtlich, dass sie sehr an ihm hängt. Sie verteidigt ihn mit Zähnen und Klauen.
    „Ray, bitte holen Sie den Wagen“, schaltet sich Camille ein. „Die Insel ist nicht so weit weg von hier. Zum jetzigen Zeitpunkt hat Jérémie bestimmt schon das Festland erreicht.“
    Er ist weit weg, der alte, kranke Mann aus dem Restaurant!
    Camille hat seinen Status als Familienoberhaupt wiedergefunden. Obwohl ihm Daniel einen vernichtenden Blick zuwirft, nimmt er die Dinge in die Hand. Er will seinen Sohn wiederfinden. Diese „Verwandlung“ ist Agathe nicht entgangen: Sie wirft sich abermals ihrem Vater in die Arme, als wolle sie ihm ihren Schutz garantieren. Daraufhin richtet Daniel seinen Groll gegen sie:
    „Tolle Idee, so zu tun, als sei man gestört, da hast du uns schön hinters Licht geführt! Weißt du zufällig, wo unser Bruder ist?“
    Es gibt nichts, das Daniel mehr hasst, als nicht Herr der Lage zu sein. Das weiß ich. Seine Aggressivität kann nur eines bedeuten: Er verliert den Boden unter den Füßen.
    Wie gerne würde ich ihm meine Hilfe anbieten! Aber wie bringe ich ihn dazu, sie anzunehmen? Hat er nicht gesagt, ich sei nur noch eine Fremde für ihn?
    Ich hebe den Kopf. Daniel sieht mich an. Wird er mich diesmal höchstpersönlich verjagen? Agathe lässt ihren Vater los und kommt auf mich zu.
    „Julia bleibt bei uns“, beschließt sie.
    Ich sage nichts und begnüge mich damit, auf ein Zeichen von Daniel zu lauern. Aber der interessiert sich nicht im Entferntesten für mich. Verärgert entgegnet er:
    „Macht doch, was ihr wollt! Aber ich verlange, dass fürs Erste niemand die Behörden alarmiert.“
    Daniel hüllt sich in Schweigen, während um ihn herum geschäftiges Treiben herrscht. Ich kann mir mühelos vorstellen, wie heftig sein Zorn ist.
    Besser nichts sagen ...
    Camille betrachtet eine Karte der Umgebung. Er versucht, die verschiedenen Anlegestellen zu identifizieren, an denen Jérémie ein kleines Boot zurückgelassen haben könnte.
    „Guten Tag, Haydée“, sagt Agathe und reicht der jungen Frau die Hand.
    „Guten Tag, Agathe“, erwidert Haydée und umarmt sie lang und innig.
    Sie scheint überhaupt nicht überrascht, dass Agathe mit ihr spricht. Ich könnte wetten, dass sich diese beiden Frauen schon seit langer Zeit kennen. Ich bin nicht die Einzige, die diesen Gedanken hat:
    „Woher ... Woher kennst du Jérémies Krankenschwester?“
    „Vielleicht, weil ich im Gegensatz zu dir, Brüderchen, nie seine Existenz geleugnet habe? Während Mama immer krampfhaft versucht hat, uns als glückliche Familie hinzustellen, habe ich unseren Bruder nie vergessen.“
    „Ich auch nicht“, explodiert Daniel. „Als mich unsere Mutter über die Lage informiert hat,
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