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Die Apfelprinzessin

Die Apfelprinzessin

Titel: Die Apfelprinzessin
Autoren: Jenny Han
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Ich wachte auf, sah die roten und gelben Blätter durch unseren Garten fliegen und wusste sofort: Heute ist mein Glückstag. Schon früh am Morgen machten wir uns daran, Blätter zu sammeln, und als es Nachmittag wurde, hatten wir drei schöne, dicke Haufen. Wir, das waren meine beste Freundin Shayna, meine kleine Schwester Emmeline und ich, Clara Lee. Clara ist mein Vorname, Lee mein Nachname. Aber alle Kinder in der Schule sagen Clara Lee zu mir, nie einfach nur Clara. Es klingt einfach besser, beide Namen gehören zusammen wie Erdnussbutter und Gelee, wie Süßes und Saures an Halloween, wie Feen und Prinzessinnen im Märchen. So wie mein Name und ich.
    Später wollten wir in unsere Blätterhaufen springen, aber vorher spielten wir noch ein Spiel, das ich selbst erfunden hatte. Es heißt
Herbstkönige
. Shayna ist die Königin, Emmeline der Prinz, und ich bin der Herbstkönig.
    »Wieso darfst du immer König sein?«, jammerte Emmeline. Sie jammert gerne, es ist ihr liebstes Hobby. Sie ist erst sechs und klein für ihr Alter. Ein
Kümmerling
, wie das kleine Ferkel Wilbur in der Geschichte von Wilbur und Charlotte. Manchmal nenne ich sie so, aber nur, wenn keiner sonst es hört. Sie wird dann nämlich richtig wütend. Sie hat Pausbacken und runde Knopfaugen, und alle Leute finden sie total niedlich. Ich nicht. Ich sehe durch sie hindurch wie durch eine Plastikhülle.
    »Das ist einfach ungerecht!«, quengelte sie.
    »Ich hab das Spiel erfunden«, erinnerte ich sie. »Wenn du nicht mitspielen willst, dann geh und hilf Opa.«
    Emmeline schob die Unterlippe ein Stück vor, zankte aber nicht mehr rum. Stattdessen hob sie noch ein Blatt vom Boden auf und legte es auf ihren Haufen.
    Ich zog ein bräunliches Blatt heraus. »Nicht leuchtend genug«, verkündete ich in meiner besten Herbstkönigstimme.
    Emmeline stemmte die Hände in die Seiten. »Bloß weil du der König bist …«, fing sie an. Dann sah sie zu Shayna hinüber. »Shayna, findest du es gerecht, dass Clara Lee schon wieder der König ist?«
    »Ich bin gern jedes Mal die Königin«, antwortete Shayna und richtete ihre Blätterkrone, damit sie auch gut saß. »Du könntest doch heute mal Prinzessin sein statt Prinz, wie wäre das?«
    »Prinzessinnen sind langweilig«, sagte Emmeline. Dann warf sie eine Handvoll Blätter in die Luft und tanzte um unsere Haufen herum. Sie hüpfte wie ein Känguru, wackelte mit den Hüften und bewegte die Arme wie beim Rückenschwimmen.
    Shayna und ich sahen uns an und zuckten mit den Schultern. Und dann warfen wir unsere eigenen Blätter auch in die Luft und tanzten genauso wie Emmeline.
    Nach all der Tanzerei war es Zeit für meinen Herbsttoast. Ich hatte schon geübt, morgens beim Zähneputzen. »Ähem. Jetzt gibt es einen Toast vom König.« Nach dieser Ankündigunglegte ich erst einmal eine Kunstpause ein. Ich griff nach dem Krug mit Apfelsaft, den Mama uns in den Garten gebracht hatte.
    »Wieso denn Toast?«, flüsterte Emmeline Shayna zu. »Wir haben doch schon gefrühstückt.«
    »Ein Toast ist eine Rede«, erklärte ihr Shayna.
    »Und wieso sagt sie dann nicht einfach ›Rede‹?«
    »Ruhe, ihr beiden«, donnerte ich. Shayna funkelte mich an, und ich machte stumm die Lippenbewegungen zu
Tut mir leid
. Dann räusperte ich mich. »Der Herbst ist eine Zeit der Veränderung. Eine neue Jahreszeit beginnt. Bald wird es kalt werden. Aber immer, immer werden wir uns an den Herbst erinnern, denn er ist die beste Zeit des Jahres. Amen.«
    Emmeline schielte mich an. Das hatte sie erst neu gelernt, und jetzt machte sie das bei jeder Gelegenheit, weil sie weiß, dass ich es nicht kann. »Ich mag den Sommer am liebsten«, sagte sie.
    »Sei nicht so respektlos dem Herbst gegenüber«, ermahnte ich sie. Dann trank ich einen Schluck Apfelsaft und reichte den Krug weiter an Shayna, die wie eine feine Dame nur daran nippte. Shayna gab den Krug weiter an Emmeline, die ihn beinahe halb leer trank.
    Unsere Blätterhaufen sahen richtig gut aus, und ich sagte zu den anderen: »Fertig?«
    Shayna und Emmeline brüllten: »Loooos!«
    Wir sprangen alle drei gleichzeitig in unsere Haufen. Es war, als würden wir in eine Herbstwolke springen. Blätter wehten durch die Luft wie Schneeflocken. Wir kreischten herum und konnten gar nicht aufhören, so ein Spaß war das.
    Als wir lange genug herumgehüpft waren, legten wir uns auf unsere Blätterhaufen. Langsam wurde es dunkel. Dann würden wir ins Haus gehen müssen. Das war das einzig Schlechte am
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