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Die Apfelprinzessin

Die Apfelprinzessin

Titel: Die Apfelprinzessin
Autoren: Jenny Han
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vom Einer. In der Klasse habe ich auch keine Angst, mich zu melden und Fragen zu beantworten. Das finde ich sogar toll. Aber vor der eigenen Klasse etwas zu sagen, ist nicht dasselbe, wie vor der ganzen Schule eine Rede zu halten. Wirklich nicht.

Als es nicht nur ein bisschen dunkel wurde, sondern so richtig, rief Opa uns zum Essen. »Clara-ja«, rief er. »Emma-ja! Essen kommen.« In der koreanischen Sprache kann man »ja« anhängen, wenn man mit jemandem spricht, das heißt dann so viel wie Hallo, Clara. Ich kann nur ganz wenig Koreanisch, aber das weiß ich.
    Zum Essen gab es Hühnersuppe mit ganz viel Knoblauch und einem Stück Ginsengwurzel. Mama hatte sie gekocht. Mit ihrem großen silbernen Schöpflöffel füllte sie uns die Schalen. »Schön aufessen!«, sagte sie. Ihre Brillengläser waren ganz beschlagen, so dampfte die heiße Suppe.
    Emmeline warf einen Blick auf ihre Suppenschale und fragte: »Was macht denn der Baum da in meiner Suppe?«
    Ich sah Papa an, dass er sich ein Schmunzelnverkniff. Wenn er das macht, hat er immer Grübchen in den Wangen. »Das ist kein Baum, Em«, sagte er. »Das ist Ginseng und sehr gesund. Und außerdem lecker.«
    »Ginseng wie Medizin«, sagte Opa und trank aus seiner Schale. »Sehr stark. Braucht man keinen Arzt.«
    »Der riecht aber komisch«, sagte Emmeline.
    »Gar nicht. Außerdem hast du das schon zigmal gegessen«, sagte ich.
    »Echt?«
    »Ja, und da fandest du’s toll.«
    »Echt?«
    »Ja.«
    Ich würde alles tun, damit ich nicht zum Arzt muss, also habe ich gleich zwei Portionen Suppe gegessen. Abgesehen davon schmeckt sie auch richtig lecker. Emmeline hat ihre erst gegessen, als Papa ihr einen fetten Klecks scharfer Sauce reingetan hat. Ihre Suppe war danach knallrot.
    Nach dem Essen hat Mama mich das Einmaleins abgefragt, während Emmeline anihren Arbeitsblättern saß und Bilder von Herbstfrüchten und Gemüse mit Buntstiften ausmalte. Schien Spaß zu machen. Jedenfalls mehr Spaß als Mathe.
    Als wir bei der Sechserreihe waren, habe ich gefragt: »Wieso darf Emmeline malen, und ich muss Mathe machen?«
    »Sie macht ihre Hausaufgaben«, sagte Mama mit einem Blick auf Emmeline. »Als du so klein warst, hattest du auch so etwas auf.«
    »Ich finde, das sollte nicht als Hausaufgaben gelten – Bilder ausmalen«, sagte ich. Emmeline sah hoch und grinste ziemlich gemein. Ich hab getan, als hätte ich es nicht gesehen. »Wo ist Opa überhaupt? Wir wollten doch zusammen lesen?«
    Mama gähnte. »Er ist früh schlafen gegangen. Er hat sich wohl heute ein bisschen übernommen im Garten. So, jetzt aber weiter: Sechs mal sieben?«
    »Zweiundvierzig. Wie meinst du das – er hat sich übernommen? Ist Opa krank?«
    »Nein, Schätzchen. Er wird einfach älter.Und wenn man älter wird, dann wollen die Knochen nicht mehr so recht, das ist alles.«
    Mama nennt mich Schätzchen, wenn sie mich besonders lieb hat. Kind nennt sie mich, wenn sie mich ein bisschen weniger lieb hat. An manchen Tagen bewege ich mich haarscharf auf der Grenze zwischen
Schätzchen
und
Kind
. Aber an dem Abend war ich ihr Schätzchen.
    Ich kuschelte mich noch etwas enger an sie. Ganz leise habe ich gefragt: »Ist Opa schon ganz alt?«
    »Überhaupt nicht, Schätzchen«, sagte Mama. »Er ist ein zäher Bursche. Er bleibt uns noch lange erhalten.«
    »Wie lange ist das für dich – lange?«, fragte ich sie.
    »Wie lange ist das für
dich
?«, fragte sie zurück.
    Ich dachte nach. »Sechs Jahre«, sagte ich. Sechs Jahre – so alt war Emmeline. Schon sechs ganze Jahre ging sie mir auf die Nerven. Deshalb fand ich, dass sechs Jahre eine lange Zeit waren.
    »Also, ich glaube, Opa wird noch sehr, sehr lange bei uns bleiben«, sagte Mama. »Und jetzt: Sieben mal acht?«
    Ich wusste, dass Mama ehrlich war, denn ihre Stimme war ganz fest, und sie sah mir direkt in die Augen. Ich bin begabt darin, Lügen zu durchschauen. Ich bin eine Lügen-Detektivin.

    In der Nacht träumte ich vom Schnurrbartmann. Ich träume immer wieder mal von ihm, das kam auch schon vor, als ich noch klein war. Wir kennen uns gut, aber ein Freund von mir ist er nicht, das könnt ihr mir glauben. Der Schnurrbartmann sieht aus wie ein Mann aus einem Comic, er hat einen gewaltigen Kopf und einen gewaltigen Schnurrbart, und er jagt mit einer großen Dose Insektenspray hinter mir her. Der Kerl kann einem wirklich Angst machen.
    Dieses Mal sind mein Opa und ich im Traum zum Friseur gegangen. Auf einmalkam der Schnurrbartmann in einer Kutsche hinter
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