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Das Dunkle Netz Der Rache

Das Dunkle Netz Der Rache

Titel: Das Dunkle Netz Der Rache
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Samstag, 14. November, 5:00 Uhr
    Kälte. Die Kälte weckte sie, kroch unter ihre Decke, breitete sich wie ein Schmerz über ihre Hüfte. Sie versuchte, sich zu rühren, sich in irgendeiner warmen Nische zu vergraben, aber die Kälte war unter ihr, und dann zuckte ein Stechen durch ihre Schultern, und sie durchlitt einen Moment der Panik: Wo? Was? Sie versuchte es wieder. Sie konnte ihre Arme nicht bewegen. Sie waren hinter ihrem Rücken zusammengebunden, ihre Handgelenke von etwas Klebrigem und Unerbittlichem aneinandergefesselt.
    Schrei. Ihre Wangen und Lippen reagierten nicht. Ihre Lider schienen festzukleben, aber sie zwinkerte und zwinkerte, bis die eiskalte stechende Luft ihr Tränen in die Augen trieb. Geöffnet, geschlossen, die Finsternis war dieselbe. Die Finsternis und die Kälte.
    Ihr Verstand weigerte sich, Sinn in dem zu erkennen, was sie spürte. War sie betrunken? War es eine Art von Spiel? Was hatte sie getan? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie erinnerte sich an das Abendessen. Hühner-Erbseneintopf. Selbstgebackenes Brot. Rotwein. Sie konnte den Tisch vor sich sehen, gedeckt mit dem guten Porzellan ihrer Mutter. Sie erinnerte sich, wie sie über den langen Tisch hinweg auf das Porträt ihres Vaters an der Wand geblickt und dabei gedacht hatte: Ich weiß, dass er mir beipflichten würde. Ich weiß es. Aber danach? Nichts. Leere, die beängstigender war als die eisige Schwärze um sie herum. Weil sie in ihr war. Ein Loch in ihrem Verstand.
    Plötzlich erinnerte sie sich an eine Reise nach Italien, die sie unternommen hatten. Sie war damals zehn oder elf Jahre alt gewesen. Es war im Sommer nach dem Tod von Genes Mutter, dem einzigen Sommer, den sie nicht im Camp verbracht hatten. Ihr Vater hatte einen Fahrer engagiert, der sie durch die Berge zum Comer See bringen sollte, aber am Morgen ihrer geplanten Abreise hatte er abgesagt. Ein Amerikaner war entführt worden. Sie war quengelig gewesen, gelangweilt von der Universitätsstadt und voller Sehnsucht nach den Wasserskifahrten und den Bootsausflügen, die man ihr versprochen hatte. Daddy hatte einen Stuhl herangezogen und erklärt, dass sie es nicht riskieren konnten. Sie wären ideale Zielscheiben. Das war das Wort, das er benutzt hatte. Zielscheiben. Weil wir Amerikaner sind?, hatte sie gefragt. Weil wir reich sind, hatte er geantwortet. Es war das erste Mal, das einzige Mal, dass er das gesagt hatte. Weil wir reich sind.
    Entführt. O Gott. Sie kniff die Augen gegen die heiße Flut der Tränen zusammen und wünschte sich zum tausendsten Mal, dass ihr Vater noch lebte. Um alles in Ordnung zu bringen.

5:15 Uhr
    Dring. Dring. Das Telefon. Sie knurrte, rollte auf den Bauch und zog sich das Kissen über den Kopf, aber das verdammte Ding gab nicht auf. Einmal. Zweimal. Dreimal. Mit einem genuschelten Fluch streckte sie den Arm unter der Decke hervor und griff nach dem Hörer. »H’lo«, meldete sie sich.
    »Reverend Fergusson? Habe ich Sie geweckt?« Es blieb ihr erspart, eine angemessene Antwort auf die Frage zu finden, weil ihr Anrufer fortfuhr: »Hier spricht John Huggins vom Such-und Rettungsdienst Millers Kill. Ich rufe Sie in offizieller Mission an.«
    Wie schön, dass es nicht privat ist, dachte sie, aber alles, was sie hervorbrachte, war: »Mich?«
    »Sie haben sich doch eingetragen, oder?« Über die Leitung konnte sie das Rascheln von Papier hören. »Von der Luftwaffe zum Such-und Rettungsdienst ausgebildet? Neun Jahre Helikopterpilotin bei der Armee? Physisch fit, eigene Ausrüstung vorhanden?«
    Sie stopfte sich das Kissen unter die Ellbogen und stützte sich ab. Das Einzige, was ihr schlaftrunkener Verstand aufgenommen hatte, war das Wort »Pilotin«. »Wollen Sie, dass ich fliege?«
    »Nicht im Entferntesten. Eine junge Frau ist als vermisst gemeldet worden. Ist gestern Abend zu einem Spaziergang aufgebrochen und nicht zurückgekehrt. Ihr Bruder hat sie heute Morgen gemeldet, nachdem er festgestellt hatte, dass ihr Bett unberührt war.«
    An diesem Morgen? Sie blinzelte in die Dunkelheit jenseits der Fenster. Sah ihr nicht nach Morgen aus. »Warum ich?«
    »Weil wir mit der Liste fast durch sind«, sagte Huggins mit einem Hauch von Verbitterung in der Stimme. »Zwei Drittel der Mannschaft helfen dem Rettungsdienst Pittsburgh Mountain aus. Dort haben sie eine alte Dame, die ihr Haus verlassen hat, und zwei Jäger, die sich seit drei Tagen nicht mehr gemeldet haben. Können Sie oder nicht?«
    Der Besuch des Bischofs. Der letzte Rest ihrer
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