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Malenka

Malenka

Titel: Malenka
Autoren: Irina Korschunow
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ihn gerührt haben, denn er warf sie immer noch nicht hinaus, wäre ihr auch gern behilflich gewesen, aber das Gesetz, Frau Jarosch, das Gesetz, und überhaupt, wie solle ihre Tochter denn zu Alimenten kommen, wenn das Kind als ehelich gelte.
    Sie wollte es immer noch nicht verstehen, und so rettete er sich wieder in sein Dienstgesicht, jetzt reichte es, Schluß mit den Fisimatenten, Name des Vaters.
    »Robert Kremer«, sagte sie zögernd. »Ist er Ingenieur, wohnhaft Hannover, und alles abgemacht wegen Geld.«
    Die Geburtsurkunde wurde ausgefertigt, unterschrieben und gestempelt, Gebühr fünfzig Pfennig kassiert, so das Ende, kurz und kalt wie der Anfang.
    Vor der Tür des Amtszimmers stand eine Bank. Anna Jarosch setzte sich hin und blickte auf die Urkunde, Margot Jarosch, uneheliche Tochter der Dienstmagd Hedwig Müller, geborene Jarosch, cholera psa krew.
    Die Geschichte von Margots Geburt. Auch das gehörte dazu, der Gang zum Standesamt, der mißlungene Versuch, ihr einen ehrbaren Namen zu verschaffen. Und obwohl Anna Jarosch sich bemühte, den Makel abzuschwächen - viele Kinder wie du, Malenka, ganz egal später, blanke Pferd besser wie goldene Stall -, es blieb ein Makel, Margot wußte früh, daß es ein Makel war, sie sollte mit ihm leben und wollte es nicht, wollte den Makel abstreifen von Anfang an, doch das ging nicht, nicht so schnell, vorerst nur im Traum.
    Margots Träume. Es wird noch die Rede sein davon, Träume, Wolkenhäuser, so schien es jedenfalls, kein Vergleich mit dem Vertiko ihrer Großmutter, weitaus vermessener als der Traum ihrer Mutter Hedwig vom besseren Herrn, obwohl er schon vermessen genug war, zumindest vom Ergebnis aus betrachtet. »Mensch in Traum, läuft an Baum«, hätte Anna Jarosch gesagt.
    Ein paar Worte über Hedwig an dieser Stelle, zugleich ein Abgesang, auch auf ihren kurzen Abstecher ins Glück mit jenem schon erwähnten Ingenieur Kremer, der, nachdem er einige Monate in Pyritz verbracht hatte, um den Bau der Maschinenhalle für die neue Zuckerfabrik zu beaufsichtigen, wieder zurück mußte nach Hannover, wo ihn eine Ehefrau erwartete. Da wußte Hedwig gerade, daß sie schwanger war.
    Ein Lied aus der Küche, könnte man meinen. Sie Putzmädchen im Hotel Sikora, er Gast, ein besserer Herr mit Manieren, äußerlich von großer Schneidigkeit. Er hatte von Liebe geredet, und Hedwig, die seinetwegen dem nicht besonders ansehnlichen, aber ehewilligen Klempner Lüderitz aus der Bergstraße davongelaufen war, klammerte sich an vage Worte wie Rückkehr als freier Mann und dergleichen, Larifari, erklärte ihre Mutter, erzwang eine schriftliche Anerkennung der Vaterschaft und versprach als Gegenleistung, daß bei pünktlicher Zahlung der Alimente die Frau nichts erfahren würde. Dann verschwand Robert Kremer. Was blieb, war das Unglück, obwohl Anna Jarosch, wenn sie davon sprach, stets hinzufügte: »Bist kein Unglück geworden, Malenka, alles gut, hätte auch deine Mutter gesagt, wenn sie noch da.«
    Hedwig, die Betrogene. Sie weinte wieder, als Anna Jarosch vom Standesamt zurückkam. Sie weinte fast ununterbrochen seit Margots Geburt, als sähe sie schon den Tod im Fenster sitzen.
    Anna Jarosch holte das Kind und gab es ihr. »Genug Tränen«, sagte sie. »Ist schlecht für Milch, soll Kind haben gute Milch.«
    Aber das Kind konnte Hedwig nicht trösten, erst recht nicht die Geburtsurkunde, die sie hatte sehen wollen.
    »Müssen wir leben damit«, sagte Anna Jarosch. »Fällst du in Graben, bist schwarz, nimmst du Wasser, wäscht ab. Schreib ihm Brief.«
    »Nein«, rief Hedwig so heftig, daß das Kind in ihrem Arm zu schreien begann, und so übernahm ihre Mutter auch dies.
    »Werter Herr Kremer«, schrieb sie mit großen, vorsichtigen Buchstaben, »hat Hedwig geboren Kind, ist Mädchen, heißt Margot. Mußte melden Vater bei Amt leider, soll aber alles bleiben wie wir geredet. Gruß Anna Jarosch, Pyritz.«
    Sie zögerte, dann setzte sie noch hinzu: »Ist Kind gesund und schön.«
    Der Brief, adressiert an Kremers Büro, kam in den Postkasten, und zehn Tage später traf die erste Zahlung bei der Sparkasse ein, zwanzig Mark wie ausgemacht. Hedwig erlebte es nicht mehr. Eine Woche nach der Geburt, als sie sich wusch, fiel sie plötzlich um und war tot. Embolie, sagte der Arzt.
    Anna Jarosch ließ den Fotografen Mitreiter aus der Holstenstraße kommen, bevor der Sarg geschlossen wurde. »Kostet Geld, Hedwig«, sagte sie fast entschuldigend zu der toten Tochter, »aber soll sein
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