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Saure Milch (German Edition)

Saure Milch (German Edition)

Titel: Saure Milch (German Edition)
Autoren: Jutta Mehler
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1.
    Fanni war einzig und allein selbst schuld daran, dass
ausgerechnet sie die Leiche finden musste.
    Dabei lag die Tote auf dem Grundstück des Nachbarn, jedenfalls zum
größten Teil.
    Fanni war selbst schuld, weil sie diesen Mülltrennungstick hatte.
Jedes Döschen, jedes Fläschchen musste irgendeiner grotesken Wiederverwertung
zugeführt werden.
    An diesem unglückseligen Vormittag ging Fanni mit einer Handvoll
Zwiebelschalen zum Komposthaufen hinter ihrem Haus. Auf dem Rückweg sah sie es
rosafarben aus den Johannisbeerstauden leuchten. »Aha, sie färben sich schon«,
freute sie sich, »früh dran heuer.«
    Sie war schon fast an der Haustür, als ihr einfiel, dass
Johannisbeeren in keinem Reifestadium ein derart künstliches Pink annehmen.
    Fanni ging zu den Stauden zurück, und das war falsch.
    Sie linste durch die Blätter und Zweige auf den rosa Fleck. Dermaßen
zudringlich angestarrt löste sich der Fleck in viele kleine Pixel auf und
setzte sich dann zu einem Muster überkreuzter rosa Bänder wieder zusammen.
    Fanni blinzelte: Das Gesamtbild ergab eine Sandale, eine, die sie kannte.
Im ganzen Ort zerriss man sich seit Wochen das Maul über sie.
    Die Sandale gehörte zu Mirza Klein.
    Mirza war Bäuerin, allerdings noch nicht lange. Sie hatte vor einem
knappen Jahr auf den Hof oberhalb von Fannis Häuschen eingeheiratet. Sie kam
aus Tschechien – direkt vom Straßenstrich. Das wussten alle hier in
Erlenweiler.
    Seit dem Tag, an dem Mirza mit Benedikt Klein vom Standesamt
zurückgekommen war, hatte das Gerede über sie, je nach aktuellem Anlass, mehr
oder minder hohe Wellen geschlagen.
    »Eine Bäuerin mit Stöckelpantolette und lila Zehennägel im Stall bei
den Rindviechern«, so und ähnlich konnte man es im vergangenen August mäkeln
hören, die ganze Erlenweiler Straße hinauf und hinunter. Das heftige Getuschel
verwehte über den Winter, begann aber Anfang Mai von Neuem, und das Echo hallte
den halben Juni wider.
    »Lila Zehennägel.« Fanni blinzelte noch mal. Richtig, da waren sie,
unverkennbar.
    Es war zu spät für Fanni, ungeschoren durch ihre Haustür zu
verschwinden, Fund und Erkenntnis abzustreiten.
    Sie bog ein paar Ästchen zur Seite, sog scharf die Luft ein und ließ
ihren Blick entlang den Sandalenriemchen aufwärts wandern.
    Fanni identifizierte gelborangefarbene Plastikblüten, glänzend wie
Glas, weidlich bekannt bis hin zu den hellgelben Splittern im Blütenkörbchen.
    Das Riemchen-Blütengewirr endete in einer Metallschließe über Mirzas
Knöchel.
    Es gab kein Zurück. Fannis Blick fand Mirzas Knie und etwas weiter
oben den Saum des roten Minirocks.
    Fanni stoppte beim schwarzen Lackgürtel: Und wenn sie doch einfach
durch die Tür …? Sollte doch ein anderer finden, was Fanni schreckte.
    Bis jetzt hatte sie niemanden hier draußen gesehen. Gewissermaßen
war sie gar nicht aus dem Haus gekommen an diesem Morgen.
    Und überhaupt, Mirzas Knie hingen einträchtig angewinkelt über dem
Grenzmäuerchen. Der Minirock leuchtete wie eine Mohnblüte aus dem Rasen der
flachen Böschung, die ins benachbarte Grundstück überleitete. Mehr als zwei
Drittel von Mirza lagen demnach im Nachbargarten.
    Eben, was ging Fanni der Garten ihrer Nachbarn an? Sollte doch Frau
Praml Polizei und Ambulanz … Fanni stockte. »Notarzt, meine Güte.« Ihr
Blick schoss von Mirzas Taille zu Mirzas Kopf und blieb in einer Blutlache
stecken.
    Mirzas Gesicht konnte Fanni nicht sehen, es war zwischen den
rotbraun gefärbten Grashalmen verborgen. Insgesamt sah Mirza tot aus.
    Also schleunigst weg.
    Mirza war nicht mehr zu helfen, und was immer sie vom Hof über die
Wiese herunter und hinter Fannis Stauden getrieben hatte, um dort zu sterben,
spielte jetzt keine Rolle.
    Andererseits: Man konnte sie doch nicht so blutig und einsam auf dem
Grenzstreifen liegen lassen.
    Das kann bloß der Alte angerichtet haben, schoss es Fanni durch den
Kopf. Er wollte sie ums Verrecken nicht auf dem Hof haben, hat ihr das Leben
jeden Tag zur Hölle gemacht.
    Das Thema Mirza und der Alte wurde schier stündlich durchgehechelt
in Erlenweiler.
    Der »Alte« war Benedikts Vater, er hatte sich von Anfang an mit
Klauen und Zähnen gegen die Schwiegertochter gesträubt. Die Leute von
Erlenweiler gaben mit der Zeit widerwillig zu, dass Mirza fleißig und geschickt
war und eine gute Frau für den Benedikt. Bloß der Alte, der trieb es von Woche
zu Woche schlimmer mit seiner Niedertracht.
    »Heilfroh soll der sein«, hatte Fanni wiederholt zu
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