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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 5 Nummer Dreizehn

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 5 Nummer Dreizehn

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 5 Nummer Dreizehn
Autoren: Martin Clauß
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1
    Kurz nach zwei Uhr nachts erwachte Michael Löwe. Das Bett, auf dem er lag, schwankte leicht, wie bei einem schwachen Erdbeben.
    Im ersten Moment nahm er die Bewegung nicht einmal wahr. Es war nicht ungewöhnlich, dass er mitten in der Nacht erwachte. Um diese Zeit knurrte ihm meistens der Magen, und er musste einen kleinen Imbiss zu sich nehmen, um wieder weiterschlafen zu können. Also setzte sich der knochige Mann, dessen Alter niemand zu schätzen wagte, auf dem vibrierenden Bett auf. Und gähnte erst einmal.
    Seine Hand fand den Schalter der Nachttischlampe blind, und im nächsten Moment sickerte ein warmes Licht durch den altmodischen, rosafarbenen Lampenschirm. Das spartanisch eingerichtete Zimmer schälte sich aus der Dunkelheit – der Kleiderschrank, das Bücherregal, das leerstehende zweite Bett und der abgeschabte Schreibtisch, auf dem eine einzelne Photographie stand. Das Foto steckte in einem aufdringlichen, barocken Silberrahmen und zeigte die Abbildung eines kleingewachsenen Mannes in einem hellen Anzug. Der Mann blickte finster und durchdringend in die Kamera. Die Farben des Bildes waren ausgebleicht und bräunlich – nicht nur unter diesen Lichtverhältnissen.
    Direkt am Bett lagerte ein großer Karton mit Süßigkeiten und Nüssen. Michael, der sonst gewöhnlich von seinem Hunger geweckt wurde, griff hinein und fischte eine Packung Cashews heraus.
    Er tat es ohne nachzudenken. Denken war nicht seine Disziplin.
    Jetzt spürte er das Schwanken des Bettes.
    Es war ein wogendes Auf und Ab. Er legte die Packung mit den Nüssen auf das Laken und presste beide Handflächen gegen die Matratze. Ein anderer hätte dieses Gefühl vielleicht mit einer bestimmten Empfindung verbunden: es fühlte sich an, als schwimme man mit einer Luftmatratze auf einem bewegten Meer. Aber Michael hatte diese Erfahrung in seinem Leben nie gemacht.
    Er wollte aufstehen, um zur Tür zu gehen und den Lichtschalter daneben zu betätigen. Doch das Bett ließ ihn nicht.
    Kaum hatte er seinen federleichten Körper von der Matratze gehoben, kam Bewegung in das Bettzeug. Es war eine heiße Sommernacht, und Michael hatte die Decke ans Fußende gestrampelt. Diese Decke glitt nun auf ihn zu, von einem geheimnisvollen Eigenleben erfüllt. Michael beobachtete den Vorgang gebannt, wie das von der Schlange hypnotisierte Kaninchen. Die Luft in dem Zimmer schien plötzlich vor heißer, summender Energie zu zittern.
    Gleichzeitig mit der Decke bewegte sich das Laken. Es raffte sich zusammen, zerrte seine vier Enden unter der Matratze hervor und legte diese frei. Michael spürte, wie das Laken sich unter ihm hindurch bewegte. Nach wenigen Sekunden lag unmittelbar neben ihm ein Stoffballen. Ein zuckender, lebendiger Stoffballen.
    „Ein Traum“, flüsterte er. „Aber kein Albtraum. Albträume haben … Monster in sich drin.“
    Obwohl er eine starke Anspannung in sich spürte, hatte er keine Angst. Er saß nun auf der nackten Matratze, und das zusammengeballte Laken erhob sich langsam in die Luft, als wäre es schwerelos. In seiner Umgebung knisterte es wie von elektrischen Entladungen. Tatsächlich waren winzige, fein verästelte Blitze zu erkennen, die über die melonengroße Stoffkugel zuckten wie Gewitter über die Oberfläche eines zerfurchten Planeten.
    Michael beobachtete das Objekt. Langsam stieg es höher, bis unter die Decke. Dort verharrte es einen Moment, und die elektrischen Entladungen warfen Lichtreflexe gegen die dunkle Holzdecke. Hatte er nicht einmal jemanden von Kugelblitzen reden gehört? Vielleicht sahen die so aus wie dieses Ding hier.
    Dann schlug seine Spannung in Panik um.
    Die Bettdecke hatte sich ihm unbemerkt genähert, während er auf das schwebende Laken gestarrt hatte. Wie eine gewaltige Nacktschnecke war sie über das Bett gekrochen und erreichte nun seine Knie. Er wollte sie beiseite wischen, aber das ließ sie nicht zu. Als bestünde sie aus einem Muskelgeflecht, spannte sie sich, leistete seinem Griff Widerstand und saugte sich an seinem Körper fest. Dabei arbeitete sie sich weiter und weiter an ihm nach oben. Die Decke presste seine Arme gewaltsam an seinen Körper.
    Gleichzeitig senkte sich das schwebende Gebilde, das einst sein Bettlaken gewesen war und sich jahrelang unauffällig verhalten hatte, auf ihn herab und berührte seinen Kopf. Schmerzhaft entlud sich der Strom in seinen Leib. Er versuchte zu schreien, doch die Elektrizität schien seine Stimmbänder gelähmt zu haben. Jetzt verschwand das
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