Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saure Milch (German Edition)

Saure Milch (German Edition)

Titel: Saure Milch (German Edition)
Autoren: Jutta Mehler
Vom Netzwerk:
und Riemchensandalen«, redeten ihm die Leute
aus Erlenweiler das Wort.
    Was sie auch sagten, Fanni wusste es besser, weil Fanni von ihrem
Badezimmerfenster aus ganz genau sehen konnte, was Mirza im Stall anhatte: alte
Turnschuhe vom Bene und eine Latzhose, auch vom Bene, aus der er schon seit
seiner Firmung herausgewachsen war.
    Die rosa Sandalen mit den orangegelben Plastikblüten, den Minirock,
das schwarze Spitzentop – ihre feinen Sachen also – zog Mirza nur
sonntags an oder wenn sie in die Stadt zum Einkaufen fuhr. Gut, hin und wieder,
wenn Mirza einfach hübsch aussehen wollte (Bene gefiel sie sicher sehr in ihrem
faszinierenden Ensemble) und wenn sie keine Dreckarbeit zu machen hatte auf dem
Hof, dann putzte sie sich auch zu Hause manchmal so auf. Sie machte sich
zurecht wie Fannis Töchter vor fünfundzwanzig Jahren ihre Barbiepuppen.
    »Gestern hat sie wieder den Nuttenfummel angehabt, beim
Krapfenbacken«, mauschelten dann die ehrbaren Bürger von Erlenweiler.
    Als Fanni mit der Zeit Mirzas böhmische Mehlspeisen kennenlernte,
kam ihr einmal ein verwegener Gedanke: Vielleicht gelingen sie eben deshalb so
gut, die Hefekringel, sagte sich Fanni, weil sich Mirza so chic herrichtet zum
Backen. Der Teig fühlt sich geehrt und geschmeichelt, und deshalb geht er auf, kommt
hoch wie … Werd nicht ordinär, Fanni!
    Fanni leckte sich jedes Mal zu Hause noch die Finger, wenn ihr Mirza
beim Milchholen eine ihrer unvergleichlichen Liwanzen angeboten hatte, die
Fanni schon auf halbem Weg über die Wiese komplett verspeiste.
    Schon allein wegen der köstlichen Liwanzen sollte der Alte vor Mirza
auf den Knien liegen, rund um die Uhr, fand Fanni.
    Stattdessen hatte er sie erschlagen! Anders war das Bild,
das sich Fanni bot, nicht zu interpretieren.
    »Erschlagen! Mord! Polizei!« Wie Signallämpchen leuchtete es auf in
Fannis Hirn.
    »Polizei«, flüsterte Fanni. Ihr Wispern rief niemanden auf den Plan.
    »Anrufen«, signalisierte Fannis Hirn, »Telefon, Nummer wählen.«
    »110«, steuerte der
Verstand bei, als sich Fanni noch immer nicht bewegte.
    »Ihr Name ist Fanni Rot«, fasste die Stimme am Telefon
Fannis Vortrag zusammen. »Sie melden einen Leichenfund in Erlenweiler. Die
Identität der toten Person ist Ihnen bekannt. Gut, Frau Rot. Eine
Polizeistreife ist unterwegs. Betreten Sie den Fundort nicht und sorgen Sie
dafür, dass auch sonst niemand in die Nähe des Fundortes kommt.«
    Fanni legte auf.
    »Bin ich der Sheriff von Erlenweiler?«, maulte sie und bezog
Stellung vor den Johannisbeerstauden. Sie drehte der toten Mirza den Rücken zu,
sah zur Straße hinunter und wartete.
    »Sind Sie da herumgetrampelt?«, blaffte der Streifenpolizist gut
fünfzehn Minuten später.
    »Nein«, beteuerte Fanni, »ich bin nur bis hierher getreten, hier auf
diese Stelle«, und sie deutete auf einen platt gedrückten Rasenflecken, fünfzig
Zentimeter von Mirzas Sandale entfernt.
    »Was angefasst?«, knurrte der Beamte.
    »Nein.«
    »Kripo!«, bellte er.
    Fanni fuhr zusammen und glotzte ihn verständnislos an, bis ihr
aufging, dass er in Richtung Streifenwagen gekläfft hatte.
    Fanni hatte genug jetzt, und wenn sie genug hatte, dann wurde sie
patzig. »Ich bin im Haus, die Klingel ist links von der Tür, ich hoffe, Sie
drücken nicht drauf.«
    Am liebsten hätte Fanni komplett verdrängt, was sie
gesehen hatte. Aber während sie die Zwiebeln schnitt, deren Schalen an all den
Widrigkeiten dieses Vormittags schuld waren, fiel ihr Blick sporadisch aus dem
Küchenfenster auf die Straße vor dem Haus. Und das, was dort draußen vorging,
erinnerte Fanni aufdringlich daran, dass Mirza tot unter den Beerensträuchern
lag.
    Fanni beobachtete, wie drei Polizeifahrzeuge nacheinander ankamen.
Sie reihten sich vor Fannis Garage auf, Autotüren schlugen zu, Funkgeräte
rauschten.
    Später, die Zwiebeln rösteten schon in der Pfanne, sah Fanni den
Leichenwagen einbiegen. Sie wollte keinesfalls zusehen, wie Mirza in einem
Blechsarg verpackt in den schwarzen Wagenfond geschoben wurde, deshalb ging sie
in den Keller, um Karotten zu holen. Auf dem Rückweg machte sie sich noch eine
Weile an den Marmeladegläsern zu schaffen. Sie sortierte Pflaume neben Kirsche
und Aprikose vor Erdbeere, und als sie wieder in die Küche kam, rollte der
Leichenwagen aus der Einfahrt.
    »Da liegt jetzt Mirza drin«, schluchzte Fanni, »tot und erschlagen,
das hat sie nicht verdient, überhaupt nicht. Die Mirza war anständig, sehr
anständig, Straßenstrich hin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher