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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein
Autoren: Brigitte Riebe
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Prolog
    DORYLÄUM - HERBST 1147
    Warum durfte er nicht endlich sterben?
    Der Ritter spürte die kalte Umarmung bereits, und er roch den brandigen Atem, der ihn streifte. Doch der Tod schien entschlossen, ihn zu verhöhnen, denn er kam und ging, wie es ihm gefiel, presste sich nah an ihn und zog sich plötzlich wieder zurück, ganz und gar nicht die mächtige Welle, wie der Ritter es sich stets vorgestellt hatte, etwas Dunkles, Großes, das ihn gnädig einhüllen und weit forttragen würde, bis alle Pein verflogen und jegliche Erinnerung ausgelöscht wäre.
    Was er seit Stunden durchlitt, war grell und hart, schmerzvoll und erniedrigend zugleich. Blut, überall Blut, dazu Heerscharen von Fliegen, die sich auf den Wunden niedergelassen hatten - seinen und denen der toten und halb toten Krieger, die neben ihm oder unter ihm lagen, grotesk entstellt durch klaffendes Fleisch oder Gase, die ihre Körper widerlich aufgetrieben hatten. Ab und zu noch ein kraftloses Ächzen oder Stöhnen, sonst war nichts zu hören als das heisere Krächzen der Geier über ihnen, die immer engere Kreise zogen.
    Keiner würde seinen Leichnam waschen oder später einmal an seinem Grab weinen. Niemand seinetwegen eine Totenmesse stiften noch für den Leichenschmaus aufkommen. Sein Name sollte einfach verwehen wie lose Spreu im Wind - was für ein schmähliches Ende!

    Für einen Augenblick wurde sein Blick klarer, umfasste die trostlose Steppe mit dem staubigen Gestrüpp, in der sie hier gestrandet waren, die blutverschmierten Schwerter ringsumher, weggeworfen wie nutzlos gewordenes Kinderspielzeug. Ein bitteres Lachen stieg auf in seiner Kehle, die so ausgedörrt war, als hätte er humpenweise Staub geschluckt. Was hatte der zornige Prediger ihnen nicht für aufregende Abenteuer in Aussicht gestellt, wie überzeugend all den versammelten Rittern himmlische Vergebung und kostbare Beute in einem ausgemalt!
    Stattdessen war er nun am Verrecken, armseliger als jeder Straßenköter, Seite an Seite mit einem blutjungen Franzosen von der Küste, dem der Hieb eines Sarazenenschwertes das vorher hübsche Lärvchen vom Scheitel bis zum Kiefer gespalten hatte. Die Gedanken des Ritters flogen davon, und für den Bruchteil eines Augenblicks tauchten die starken Mauern der heimatlichen Burg vor ihm auf. Dann das Gesicht seiner Frau, bleich und ängstlich, als spüre sie am eigenen Leib, was er soeben durchlitt. Gefolgt vom aufmüpfigen Profil des kleinen Sohns, eines Pferdenarren wie er selbst, der am liebsten schon als Ritter im Sattel gesessen hätte, kaum hatten seine dicken Beinchen das Laufen gelernt. Schließlich schien das Haar seiner Tochter auf einmal zum Greifen nah, dunkel wie Rauch, knisternd vor Jugend und Kraft.
    Doch vor all diese sehnsuchtsvollen Bilder schob sich breit und triumphierend das Blecken seines nachgeborenen Bruders, der nun endlich am Ziel seiner kühnsten Träume angelangt war, da der Reichsgraf nie mehr zurückkehren würde.
    Verzeiht mir, wollte er den anderen zurufen, dass ich euch ihm ausgeliefert habe! Er wird nicht lange zögern, die Schmach des Zweitgeborenen endlich zu tilgen. Niemals
hätte ich euch verlassen dürfen, schon gar nicht wegen dieses sinnlosen Heerzuges gegen die Heiden, der uns nur Hunger und Leid, nichts als Verrat, Tod und Verwüstung gebracht hat.
    Doch seine Gedanken trieben ihr eigenes Spiel, ballten sich zusammen, verknoteten sich, um sich schließlich wie klebrige Fäden im unsichtbaren Nichts zu verlieren. War das nun das Ende, um das er seit Stunden so verzweifelt rang?
    Es musste fast so weit sein, denn plötzlich ertönten Hufschläge auf harter Erde. Danach eilige Schritte; schließlich beugte sich jemand tief über ihn.
    Eine fremde Kraft trieb ihn dazu, die Lider zu öffnen.
    Helle Augen schauten auf ihn hinunter, klar und hart wie Gebirgsgletscher. Ein Blick, den man nicht mehr vergaß, wenn er einen nur ein einziges Mal gestreift hatte: der ehrgeizige junge Königsneffe mit dem roten Bart, der selbst von der Krone träumte, wie der Ritter wusste.
    Der Sterbende versuchte, einen Arm zu rühren, um anzuzeigen, dass er noch lebte. Verzweifelt strengte er sich an, wenigstens einen Laut hervorzustoßen, doch aus seinen halb geöffneten Lippen floss lediglich ein Schwall dunklen Blutes.
    Friedrich von Schwaben betrachtete ihn, zog angewidert die Nase hoch, schüttelte den Kopf und wandte sich ab. In seinem behäbigen Tonfall hörte der Ritter ihn etwas zu seinem Begleiter sagen, dann gingen die
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