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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein
Autoren: Brigitte Riebe
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knappe Zeit zwischen Non und Vesper war, die sie am liebsten allein in ihrem erst jüngst fertiggestellten Haus verbrachte. Es musste schon etwas Wichtiges sein, was diese Störung rechtfertigte.
    »Herein!«, sagte sie und war froh, dass ihre Stimme so gefasst klang.

    Hedwigs schmaler Kopf schob sich vorsichtig durch den Spalt. »Josch wäre jetzt da, hochwürdige Mutter«, sagte sie. »Die Entscheidungen wegen der Wingerte lassen sich nicht länger aufschieben. Willst du ihn empfangen?«
    Hedwigs prüfendem Blick entging nichts. Weder die verquollenen Augen noch das fleckig gewordene Pergament, das unter einer anderen Abschrift hervorlugte, die Hildegard im letzten Moment darübergeschoben hatte. Eigentlich zur Leiterin des Scriptoriums bestimmt, war sie Hildegard in den zurückliegenden schwierigen Anfangsjahren wegen ihrer ebenso fröhlichen wie zupackenden Art in vielerlei Hinsicht unentbehrlich geworden. Trotzdem würde sie Richardis niemals ersetzen können, in keiner Hinsicht, was beide Frauen wussten, auch wenn keine von ihnen je ein Wort darüber verlor.
    Hedwig betrat den kleinen Raum, das Studierzimmer der Magistra, wohin diese sich in ihrem Schmerz am liebsten verkroch.
    »Bei Donata hat heute Nacht wieder das Gliederreißen eingesetzt«, fuhr Hedwig schnell fort, als könne sie Hildegards Gedanken lesen. »Sie kann sich kaum aufrichten und humpelt einher, als sei ihr ein böser Wind in den Rücken gefahren. Deshalb hab ich heute Nachmittag auch ihren Dienst an der Pforte übernommen, damit sie in der Krankenstube schnell wieder zu Kräften kommt.«
    »Das heißt, sie bleibt vorerst im Bett und bekommt endlich das Geflügel vorgesetzt, nach dem es sie so sehr gelüstet?«
    »Nicht allen ist es vergönnt, auf alles stets mit leichtem Herzen zu verzichten. Wir mühen uns redlich darum, mal mit besserem, gelegentlich aber leider auch mit schlechterem Ergebnis.«
    Hildegard schenkte ihr einen raschen Blick. Niemals
würde Hedwig eine Mitschwester verpetzen, schon gar nicht die Ärmste, die sich nun quälen und tagelang mit Benignas ätzend riechender Stinkwacholdersalbe einreiben musste, bis sie halbwegs schmerzfrei sein würde. Und doch besaß Hedwig durchaus ein gewisses Geschick, die eigenen Leistungen ins rechte Licht zu rücken.
    »Dann bring Josch endlich herein und setzt euch alle beide!« Sie wies auf die Stühle neben sich.
    Hedwig zögerte keinen Augenblick. Der hagere Mann dagegen, der sichtlich respektvoll den Raum betreten hatte, sehr wohl.
    »Ich weiß, ich störe, domina «, sagte er und senkte ehrerbietig den kantigen Kopf. »Doch der Wingert …«
    »… gehorcht den Gesetzen der Natur und kann nicht warten«, fiel Hildegard ihm ins Wort. »Was brauchst du von mir, Josch, damit du deine Arbeit fortsetzen kannst?«
    Er schluckte, schien nach Worten zu ringen. »Vor allem wünschte ich, Ihr kämt endlich wieder einmal mit mir«, sagte er schließlich. »Um Euch mit eigenen Augen von unseren enormen Fortschritten zu überzeugen.« Ein Räuspern, als strenge er sich an, endlich zur Sache zu kommen. »Die Rodung für den neuen Wingert ist abgeschlossen, das gesamte Gelände mithilfe der fleißigen Männer urbar geworden. Die edle Frau Gepa würde im Himmel lächeln, könnte sie sehen, was wir aus ihrer großzügigen Schenkung gemacht haben.«
    »Das meiste davon ist im vergangenen Jahr geschehen.« Hildegards Stimme klang müde. »Und du hattest mir bereits ausführlich darüber berichtet. Sonst noch etwas?«
    Der Tadel, den er aus ihren Worten herauszuhören glaubte, schien ihn zu treffen.
    »Kein Wein ist richtig trinkbar nach den ersten Ernten«, sagte er. »Es dauert Jahre, bis die veredelten Stöcke schmackhafte
Trauben tragen, das wisst Ihr ebenso gut wie ich. Und deshalb bin ich hier. Damit wir keine Zeit vergeuden.«
    Sie zog die hellen Brauen nach oben. Jetzt hatte ihr Gesicht den melancholischen Ausdruck von vorhin verloren, wirkte wacher, um einiges jünger.
    »Wir sollten baldmöglichst mit dem Rebschnitt im älteren Wingert beginnen.« Josch war nun ganz in seinem Element. »Um die milde Witterung zu nutzen, die ich schon in allen Knochen spüre.«
    »Meinst du damit vielleicht den Graupelschauer, der draußen gerade niedergeht?«
    »Das Wetter wird umschlagen, vielleicht schon heute Nacht, vielleicht auch erst morgen, das verrät mir mein alter Bruch, der zu jucken begonnen hat, und darauf kann ich mich verlassen. Doch wer kann schon sagen, wie lange das anhalten wird? Es gibt
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