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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein
Autoren: Brigitte Riebe
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gekämpft und ihnen einen Beutel mit ein paar Silbermünzen zugesteckt hatte, sie hätten sich unterwegs schon bald nicht einmal mehr die schäbigste Unterkunft leisten können.
    Sah man ihnen das Elend inzwischen schon von Weitem an?

    Gerade in diesem Moment wünschte sich Theresa aus ganzem Herzen, dass es anders wäre. Ein Blick auf ihre lehmbespritzten Kleider und das rissig gewordene Schuhwerk belehrte sie jedoch eines Besseren. Warum musste sie ausgerechnet in einem so erbärmlichen Zustand auf diesen jungen Mann treffen, der sie wie magisch anzog, seitdem er ihren Weg gekreuzt hatte?
    Er war groß und hielt sich gerade, hatte stattliche Schultern und eine dichte, rotbraune Mähne, die der Wind ihm zerzauste. Ein wenig erinnerte er sie an Richard, den Bastard von Onkel Götz, aber vielleicht auch nur, weil beide sich ähnlich geschmeidig bewegten, und Richard der ansehnlichste junge Mann war, der ihr bisher begegnet war. Das Gesicht des Fremden war flächig und hell, mit einem Nest von Sommersprossen auf der Nase und einem Grübchen im Kinn, das man nur bemerkte, wenn man ganz genau hinsah. Sein dicker, brauner Walkumhang sah so wärmend aus, dass Theresa ihn darum beneidete. Was sie aber am meisten faszinierte, waren seine Augen, das rechte so blau wie der Himmel an einem strahlenden Junitag, das linke ein gutes Stück dunkler, fast ins Bräunliche changierend.
    Natürlich schaute er nicht zu ihr herüber, und wenn doch, dann lediglich gleichgültig, als nehme er sie bestenfalls zufällig wahr. Was bekam er denn auch schon zu sehen? Nichts als ein armselig gekleidetes Mädchen, das inzwischen viel zu lange von zu Hause fort war, um mit dem Kostbarsten prunken zu können, was die Natur ihm geschenkt hatte. Das dunkle Haar, sonst Theresas größter Stolz, war notgedrungen straff geflochten und unter einer verbeulten Filzkappe verborgen, anstatt wie sonst lockig und knisternd bis zu den Hüften zu fallen.
    Jetzt musste ihre Nase noch spitzer wirken, und die Wangen sahen vermutlich so eingefallen aus wie die eines
halb verhungerten Kindes. Theresa, die noch vor wenigen Monaten auf ihren vierzehnten Geburtstag hingefiebert hatte, um endlich zu den Erwachsenen zu zählen, schätzte das anziehende männliche Gegenüber auf zwanzig. Eigentlich genau das zu ihr passende Alter. Doch seit sie Ortenburg verlassen hatten, war so viel geschehen, dass sie beide sehr viel mehr trennte als diese paar lächerlichen Jahre.
    »Ist Euch nicht gut?«, wandte sich der ältere Mann, der neben dem jungen stand, an die Witwe, und sein singender Tonfall ließ erkennen, dass er wohl nicht in seiner Muttersprache redete. »Ihr seid doch nicht etwa krank?«
    Ada von Ortenburg wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Dabei verschob sich der Umhang und entblößte ihren gewölbten Bauch.
    »Es geht schon wieder.« Schnell zupfte sie den Stoff zurecht. »Wir sind nur schon so lange unterwegs. Und haben leider bislang nicht gerade Glück gehabt.«
    Der Blick ihres Gegenübers schien an Schärfe zu gewinnen. Der Mann war mittelgroß und sehnig, hatte grau meliertes Haar und ein markantes Gesicht. Unter einem wild wuchernden, pechschwarzen Brauengestrüpp stachen Augen hervor, blank wie geschliffener Obsidian.
    »Frauen ohne männlichen Schutz meiden für gewöhnlich Straßen und Flüsse.« Plötzlich klang er offen missbilligend. »Zumal zu dieser unwirtlichen Jahreszeit. Und dazu haben sie auch jeden Grund. Was sagt denn Euer Gemahl dazu? An ihm wäre es doch zuallererst gewesen, Euch vor solch gefährlichen Abenteuern abzuhalten!«
    Geros magerer Rücken schien auf einmal noch steifer geworden zu sein. »Ich kann sie doch beschützen!«, rief er, ohne sich umzudrehen. »Mama und meine Schwester. Auch wenn ich leider noch kein Ritter bin. Doch zu ihrem Schutz fühle ich mich längst groß genug!«

    Theresa sah, wie die Mutter den Umhang unwillkürlich enger um sich zog. Lass es bleiben!, hätte sie ihr am liebsten zugerufen. Du kannst es ohnehin nicht mehr verbergen, so viel Mühe du dir auch gibst. Aber natürlich kam nicht ein Laut über ihre Lippen.
    »Mein Mann ist tot, und es gibt nur noch eine einzige Zuflucht, die uns geblieben ist. Wir müssen sie unter allen Umständen erreichen, sonst weiß ich nicht, was aus uns werden soll.«
    Das Brauengestrüpp schnellte fragend nach oben.
    »Wir kommen gerade vom Kloster Eberbach«, fuhr Ada fort, »aber auch dort konnte man uns nicht weiterhelfen.«
    Wieso erteilte die Mutter einem
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