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Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Titel: Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Autoren: Nele Neuhaus
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Prolog

     
    Februar 1998 – New York City
    Vincent Levy stand am Fenster seines Büros im 30. Stockwerk des LMI-Building und starrte nachdenklich hinaus. An diesem düsteren Februarnachmittag reichte die Sicht kaum bis zur Verrazano Narrow Bridge im Osten. Die Freiheitsstatue reckte ihren Arm in die Luft und die Schiffe, die auf der Hudson Bay unterwegs waren, zogen schaumige, weiße Streifen ins aufgewühlte schwarze Wasser. Schneeflocken wirbelten durch die Luft und ein eisiger Ostwind pfiff um die Glasfronten der Wolkenkratzer Manhattans. Vincent Levy war Anfang 50 und bereits der vierte Levy in der Firma. Sein Urgroßonkel hatte das Bankhaus Levy & Villiers 1902 gegründet, das dank einer umsichtigen und konservativen Geschäftspolitik beinahe ein Jahrhundert lang unbeschadet durch alle Stürme und Skandale der Finanzwelt gelangt war. Doch im Gegensatz zu seinen Vorgängern war Vincent Levy nicht damit zufrieden gewesen, eine angesehene Privatbank zu leiten. Schon Mitte der achtziger Jahre hatte er damit begonnen, die ehrwürdige Privatbank in eine Investmentfirma zu verwandeln. Aus dem Bankhaus Levy & Villiers war die Holding Levy Manhattan Investment geworden. Gemeinsam mit einem finanzkräftigen Teilhaber, der die Erfolg versprechenden Zukunftsaussichten eines global operierenden Finanzriesen erkannt hatte, hatte Levy Mitbewerber aufgekauft und viel Geld in die neueste Computertechnologie investiert, die es LMI ermöglichte, auf allen bedeutenden Finanzplätzen der Welt präsent zu sein. Levy fürchtete sich nicht vor spektakulären Neuerungen. Mit strategischem Geschick, Weitblick und gut getarnter Rücksichtslosigkeit war es ihm gelungen, LMI innerhalb von 15 Jahren zu einer Investmentfirma mit weltweit mehr als 2.000 Mitarbeitern zu machen. Jede Abteilung hatte einen fähigen Leiter, der es verstand, das Optimum aus seinen Leuten herauszuholen: Ob Auslandsanleihen, Derivatehandel, Programm-und Wertpapierhandel, OTC, Konsortialgeschäfte, Index-und Risikoarbitrage, Futureshandel oder Beteiligungsfinanzierungen – LMI hatte sich einen ausgezeichneten Ruf erworben. Eigene Broker auf dem Parkett der NYSE und rund 200 Händler im Handelsraum im 14. Stock sorgten für gewaltige Umsätze und Gewinne. Doch obwohl LMI in vielen Geschäftsbereichen zu den Großen am Markt gehörte, war es Levy trotz aller Investitionen und Bemühungen bisher nicht gelungen, auf dem Gebiet, das ihm persönlich am meisten am Herzen lag, einen echten Profi anzuwerben. Im Bereich der M & A mischten an der Wall Street andere die Karten. Beim derzeit herrschenden Übernahmeboom flossen gigantische Geldströme an LMI vorbei in andere Taschen – ein schier unerträglicher Zustand! Aber das konnte sich in naher Zukunft ändern, denn gestern Abend hatte er erfahren, dass Alexandra Sontheim, der hellste Stern am M & A-Himmel der Wall Street, ihren Arbeitgeber Morgan Stanley im Streit verlassen hatte und einen neuen Job suchte. Es klopfte an der Tür und Levy wandte seinen Blick von der Hudson Bay ab.
    »Hallo, St. John«, sagte er zu seinem Besucher und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, »setzen Sie sich.«
    »Was gibt’s, Vince?«, fragte Zachary St. John in seiner gewohnt respektlosen Art, die Levy immer wieder missfiel. Er musterte den Leiter der leider noch so unbedeutenden M & A-Abteilung von LMI. St. John war kein Ass, was seinen Job betraf, aber zweifellos kannte er an der Wall Street alle und jeden. Seitdem er vor gut neun Jahren über Franklin Myers von Drexel Burnham Lambert zu LMI gekommen war, hatte er Kontakte zu beinahe allen Leuten geknüpft, die im oberen Management von LMI arbeiteten. Der Präsident von LMI mochte den Mann nicht, denn St. John war ein aalglatter, geldgieriger Opportunist, doch seine Dienste waren ausgesprochen wertvoll.
    »Wie Sie wissen«, begann Levy nun, »ist es seit langem mein Wunsch, dass LMI auch auf dem Gebiet der M & A an Bedeutung gewinnt. Und nun ist mir gestern aus gut unterrichteter Quelle zugetragen worden, dass Alex Sontheim nach einem Streit Morgan Stanley verlassen hat.«
    Er machte eine Pause, um diese sensationelle Neuigkeit auf St. John wirken zu lassen, aber der riss weder die Augen auf, noch wirkte er beeindruckt vom Insiderwissen seines Chefs.
    »Das weiß ich schon«, St. John lächelte selbstgefällig. »Es war klar, dass sie nicht mehr lange bei Morgan Stanley bleibt, denn sie hatte keine Lust mehr, hinter diesem Volltrottel van Sand die zweite Geige zu spielen. Und nachdem
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