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Saure Milch (German Edition)

Saure Milch (German Edition)

Titel: Saure Milch (German Edition)
Autoren: Jutta Mehler
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alle so, wenn sie vom Klein-Hof was holen
wollen, Milch, Eier, Kartoffeln, Zwiebeln und solche Sachen.
    In der Küche hat sich nichts gerührt. Die Klein-Bäuerin war wohl
schon auf dem Weg zur Messe. Da hab ich mich auf die Suche nach Bene gemacht.
Der Bub durfte jederzeit an uns Nachbarn Eier abgeben, auch wenn seine Mutter
nicht dabei war. Die Klein-Bäuerin wusste genau, dass wir alles ehrlich mit ihr
abrechnen würden. Ich hab Bene bei seinen Maschinen vermutet, und deshalb bin
ich zur Scheune hinübergelaufen. Die beiden Torflügel standen offen.
    Ich bin hineingegangen, am Traktor vorbei, um den Heuwagen herum und
wollte gerade nach Bene rufen, da habe ich den alten Klein unter dem
Scheunenfenster auf einem umgestülpten Eimer hocken sehen. Ich beschloss,
schleunigst kehrtzumachen. Der Alte würde kein einziges Ei herausrücken.
›Eierhandel ist Weiberkram, geht mich nichts an‹, hat er immer geschnauzt. Ich
setzte also zum Rückzug an. Da hab ich auf einmal den Bello gesehen. Er saß
direkt vor dem Alten ganz still auf dem Boden. Ehrlich gesagt, der Anblick hat
mich festgenagelt. Ich dachte, jetzt bringt der Alte den Bello um, erwürgt ihn,
schneidet ihm den Hals durch oder sonst was Schreckliches. Ich wollte gar nicht
hinsehen, ich wollte nach Hause. Aber es ging nicht! Ich musste wie
hypnotisiert in den Lichtfleck unter dem Fenster glotzen, und dann konnte ich
gar nicht glauben, was sich tatsächlich abgespielt hat. Der Alte hat Bello mit
Schinkenbröckchen gefüttert – Schinken ,
Sprudel! –, und er hat ihn zwischen den Ohren gekrault. Ich hab gegafft
und geblinzelt, ich hab mich in die Backe gekniffen – die Szene war echt! Von
diesem Tag an hab ich immer ganz genau hingeschaut, wenn der Alte den Bello
traktiert hat. Es lief immer auf das Gleiche hinaus. Der Alte holte wie wild
mit dem Stiefel aus und dann, Sprudel, hat er sorgfältig darauf geachtet, dass
er den Bello bloß nicht traf. Und da erst, Sprudel, da erst ist mir
aufgefallen, dass der Bello überhaupt keine Angst vor dem Alten hatte. Der
Bello hat begeistert mit dem Schwanz gewedelt, wenn der Klein drohend mit der
Mistgabel gefuchtelt hat.«
    Fanni hatte sich in Hitze geredet und dabei sämtliche Formen
höflicher Anrede missachtet. Ausgerechnet Fanni, die so auf Manieren hielt.
    Sprudel hatte seine Falten geglättet und starrte Fanni aus beiden
Pupillen an. »Ich verstehe, was Sie mir mit Ihrer Geschichte erklären wollen,
Frau Rot«, sagte er, »aber warum, in Gottes Namen, hat der alte Klein so einen
Zirkus aufgeführt?«
    »An diese Frage«, sagte Fanni, »habe ich damals eine ganze Weile
hinspekuliert.«
    Sprudel grinste breit. »Und Sie sind zu einem Resultat gekommen!«
    Fanni schüttelte den Kopf. »Ich habe mir eine Theorie gebastelt, die
vermutlich bloß Quatsch ist.«
    »Wir wollen sie ja nicht in Science veröffentlichen«, sagte Sprudel, »aber ich würde sie sehr gerne hören, bitte.«
    »Ich dachte mir«, gab Fanni, derart höflich aufgefordert, nach,
»dass der Alte irgendwie zweigeteilt war. Einerseits hat er sich gefreut über
den Bello und darüber, dass der Hund so gut auf den Bene und alles andere auf
dem Hof aufgepasst hat. Andererseits wollte es aber der Alte selber sein, er
ganz allein, der den Bene beschützt und für ihn sorgt. Denn der Bene war sein
Ein und Alles, das konnte jeder sehen. Ja«, resümierte Fanni, »und genauso
zwiespältig wie ihm zumute war, so hat sich der Alte auch verhalten.«
    »Leuchtet mir ein«, sagte Sprudel. »Was ist denn aus dem Hund
geworden?«
    »Bello ist inzwischen an Altersschwäche gestorben«, antwortete
Fanni. »Er war mindestens vierzehn, als er starb – biblisches Alter für
einen Hund. Drei oder vier Jahre muss das jetzt her sein. Die Mutter vom Bene
war damals schon tot.«
    Sprudel schob seine linke Wange ein Stückchen über den linken
Nasenflügel und brütete eine Weile vor sich hin.
    »Sie meinen also, Frau Rot«, sagte er dann bedächtig, »dass es sich
mit Mirza genauso verhalten hat wie mit dem Hund.«
    Fanni nickte.
    »Das würde bedeuten«, meinte Sprudel, »dass der Alte heilfroh war,
Mirza als Schwiegertochter im Haus zu haben, und dass er ihr nie etwas angetan
hätte.«
    »Ja«, sagte Fanni.
    »Im Affekt vielleicht«, gab Sprudel zu bedenken.
    Fanni zuckte die Schultern. »Ich glaube kaum. Schimpfen, Schreien,
Drohen, das ist seine Natur, Zuschlagen nicht. Was glauben Sie, Sprudel, wie
der alte Klein tagtäglich seine besten Milchkühe herunterputzt:
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