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Dein goettliches Herz entflammt

Dein goettliches Herz entflammt

Titel: Dein goettliches Herz entflammt
Autoren: Kelly Keaton
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Eins
    Mein rechtes Knie hüpfte wie ein außer Kontrolle geratener Presslufthammer unter dem Kantinentisch auf und ab. Adrenalin schoss mir in Arme und Beine und am liebsten wäre ich hinausgerannt und hätte Rocquemore House sofort wieder vergessen.
    Tief durchatmen.
    Wenn ich mich jetzt nicht wieder einkriegte und runterkam, würde ich anfangen zu hyperventilieren und mich komplett zum Affen machen. Was keine gute Idee war, vor allem weil ich gerade in einer Irrenanstalt saß, in der bestimmt noch ein paar Zimmer frei waren.
    »Miss Selkirk, sind Sie sich sicher?«
    »Sagen Sie einfach Ari zu mir. Und ja, Dr. Giroux, ich bin mir sicher.« Ich nickte dem Mann, der mir gegenübersaß, aufmunternd zu. »Ich habe den weiten Weg nicht gemacht, um jetzt aufzugeben. Ich will es wissen.« Eigentlich wollte ich das Ganze nur so schnell wie möglich hinter mich bringen und etwas – irgendetwas – mit meinen Händen machen. Stattdessen legte ich sie flach auf die Tischplatte. Ganz ruhig. Ganz gefasst.
    Den schmalen, von der Sonne spröden Lippen des Arztes entwich ein leiser Seufzer, während er mich mit seinem Tut-mir-leid-Schätzchen-du-hast-es-so-gewollt-Blick anstarrte. Er schlug die Akte in seiner Hand auf und räusperte sich. »Ich habe damals noch nicht hier gearbeitet, aber wir wollen mal sehen…« Er blätterte ein paar Seiten um. »Nachdem Ihre Mutter Sie in die Obhut des Jugendamtes gegeben hatte, verbrachte sie den Rest ihres Lebens hier in Rocquemore.« Seine Finger spielten mit der Akte. »Sie hat sich selbst eingewiesen«, fuhr er fort. »Sie war sechs Monate und achtzehn Tage hier. Und am Abend vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag hat sie Selbstmord begangen.«
    Plötzlich hatte ich einen dicken Kloß im Hals.
    Verdammt. Damit hatte ich nicht gerechnet.
    Mein Verstand setzte aus. Mit einem Mal waren all meine zurechtgelegten Fragen weg.
    Im Laufe der Jahre war ich jeden nur möglichen Grund durchgegangen, der meine Mutter bewogen hatte, mich wegzugeben. Dabei war mir auch der Gedanke gekommen, dass sie irgendwann in den letzten dreizehn Jahren gestorben sein könnte. Aber Selbstmord? Tja, du Blitzmerkerin, auf die Idee bist du nicht gekommen. Ich fluchte innerlich und am liebsten hätte ich meine Stirn auf die Tischplatte geknallt – vielleicht hätte ich es dann verstanden.
    Kurz nach meinem vierten Geburtstag hatte man mich in die Obhut des Staates Louisiana gegeben und nur sechs Monate später war meine Mutter gestorben. All die Jahre hatte ich an sie gedacht, hatte mich gefragt, wie sie aussah, was sie tat, ob sie wohl an das kleine Mädchen dachte, das sie zurückgelassen hatte, und dabei hatte sie die ganze Zeit über zwei Meter unter der Erde gelegen und rein gar nichts getan oder gedacht.
    In meiner Brust bildete sich ein Schrei, der mir nicht über die Lippen kommen wollte. Ich starrte auf meine Hände, auf meine kurzen, schwarz lackierten Fingernägel, die auf der weiß beschichteten Tischplatte wie glänzende Käfer aussahen. Es fehlte nicht viel und ich hätte meine Finger in den Tisch gekrallt, um zu spüren, wie die Haut unter den Nägeln einriss, um nichts anderes zu spüren als die Trauer, die in mir brannte wie ein loderndes Feuer, doch ich widerstand meinem Verlangen.
    »Verstehe«, sagte ich, während ich in Gedanken meine Strategie änderte. »Und was genau war mit ihr los?« Die Frage lag wie Blei in meinem Mund, mein Gesicht glühte. Ich zog meine schweißnassen Hände zurück und rieb sie unter dem Tisch an meiner Jeans.
    »Schizophrenie. Wahnvorstellungen – genauer gesagt, eine Wahnvorstellung.«
    »Nur eine?«
    Er schlug wieder die Akte auf und tat so, als würde er lesen. Der Typ war unglaublich nervös und schien es mir nicht sagen zu wollen – ich konnte ihn sehr gut verstehen. Mit Sicherheit gibt es Angenehmeres, als einem jungen Mädchen ins Gesicht zu sagen, seine Mutter sei so durchgeknallt gewesen, dass sie sich selbst um die Ecke gebracht habe.
    Auf den Wangen des Arztes leuchteten hektische rote Flecken auf. »Hier steht« – er musste schlucken – »dass es Schlangen gewesen sind… Sie behauptete, Schlangen würden versuchen, aus ihrem Kopf zu kriechen, sie könnte spüren, wie sie unter ihrer Kopfhaut wuchsen und sich bewegten. Sie hat sich mehrmals den Kopf blutig gekratzt und versucht, die Schlangen herauszuschneiden; mit einem Buttermesser, das sie in der Kantine gestohlen hatte. Egal, was die Ärzte auch versuchten, egal, was für Medikamente sie ihr gaben,
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