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Saure Milch (German Edition)

Saure Milch (German Edition)

Titel: Saure Milch (German Edition)
Autoren: Jutta Mehler
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Gymnasiums erfuhr), hatte es ihr ganz
besonders angetan. Nachdem sie dann das Abitur mit Müh und Not geschafft hatte,
begann sie in Nürnberg mit dem Studium. Bereits im zweiten Semester trat
allerdings zutage, dass Fanni von Prädikaten wie »erstklassig« und »exzellent«
weit entfernt war.
    »Benütz deinen Verstand, streng ihn an«, hatte ihr die Mutter von
klein auf eingebläut, doch nun musste sich Fanni (wie auch oft während ihrer
Schulzeit) fragen, wie sie etwas benützen, anstrengen und verwenden sollte, das
nicht zu finden war.
    Nein, blöd war Fanni nicht. Sie konnte mit genialen Einfällen
aufwarten, mit scharfsinnigen Gedanken und geistreichen Sätzen, doch die kamen
und gingen, wie sie wollten.
    Kurz vor Ende dieses zweiten Semesters stellte sich jedoch heraus,
dass es keine Rolle mehr spielte, ob sich Fannis Verstand mit Molekülsträngen,
Enzymen und Zellkulturen anfreunden konnte, denn zu jener Zeit traf das
Verhängnis ein.
    Fanni schlug die Bettdecke zurück und stand auf. Ihre
Laune hob sich, als ihr einfiel, dass Leni auf dem Weg nach Erlenweiler war.
Fannis älteste Tochter hatte ihr Biologiestudium erfolgreich beendet, sie hatte
vor Kurzem eine allgemein begehrte Stelle im Forschungslabor der Universität
Nürnberg angetreten und strebte eine Liaison mit der Doppelhelix an. Lenis
Steckenpferd war der genetische Fingerabdruck.
    Fanni duschte, und die Wasserperlen, die von ihrer Haut tropften,
mutierten vor ihren Augen zu winzigen gegenläufigen Spiralpaaren, jedes um eine
gemeinsame Achse gewunden.
    » DNA , oder deutsch DNS «, flüsterte Fanni, »Träger des menschlichen
Erbgutes!«
    Einkaufen, mahnte sich Fanni, ich muss als Allererstes
einkaufen heute Morgen.
    Aber zuvor wollte sie noch schnell das Badezimmer sauber machen,
weil sie angekleckerte Wannen und Waschbecken nicht leiden konnte.
    Wasserstoff, entsann sie sich beim Trockenrubbeln der Duschwand, was
ihr Leni neulich erklärt hatte, ist das Bindeglied zwischen den komplementär
einander zugeordneten Basenpaaren der DNS ,
die in eine Kette aus Zucker und Phosphorsäure eingebettet sind. Simpel,
eigentlich ist alles ganz simpel, so simpel wie Zopfmuster stricken.
    Fanni kramte ihre Geldbörse aus der Schublade und lächelte. Der
genetische Code lässt sich mit dem Strichcode auf Lebensmittelverpackungen
vergleichen. Wie der Scanner im Supermarkt eine Tafel Schokolade identifiziert,
genauso kann Leni die DNS lesen, kann sie aufschlüsseln und
zuordnen.
    Leni konnte all das, wovon Fanni in jungen Jahren nur geträumt
hatte. Ihr Faible für die Doppelhelix musste sie von Fanni geerbt haben (auf
welchem Chromosom es wohl verzeichnet war?). Die Begabung und den Grips für
wissenschaftliches Arbeiten hatte Leni von ihrem Vater, woher sonst. Lenis
Vater galt als fabelhaft intelligent. Er hieß nicht Hans Rot.
    Fanni kam eben vom Einkaufen zurück, da schneite Leni
schon in ihre Küche. »Hallo, Mami!«
    »Hallo«, sagte Fanni laut und deutlich und wünschte sich, ihr Mann
könnte sie hören. Hans Rot hasste das Wort »Hallo«. Er versteifte sich
dickköpfig auf das bayrische »Grüß Gott«. In einem Anfall von Auflehnung hatte
Fanni neulich geknurrt: »Grüß ihn doch selber.« Hinterher hatte es ihr
leidgetan. Hans Rot war nun mal reaktionär, katholisch und dumm. Aber das hatte
auch sein Gutes.
    »Wird der Garten neu vermessen?«, fragte Leni.
    Fanni stutzte. Einen Augenblick lang stand sie mit der Butter in der
Hand vor der offenen Kühlschranktür, bis ihr einfiel, dass Meiser ein rotes
Absperrband im Karree um die Johannisbeerstauden gespannt hatte.
    »Mirza ist tot«, platzte sie heraus. Sie verstaute die Butter,
lehnte sich gegen die Herdfront und berichtete ihrer Tochter, was sich tags
zuvor ereignet hatte.
    »Armer Bene«, seufzte Leni. »Der Bub hat’s echt nicht leicht gehabt.
Sonderschule, Mutter früh gestorben, Vater engstirnig und despotisch. ›Die
Mirza tut ihm gut‹, hast du erst neulich gesagt, ›die Mirza hat’s voll drauf‹.
Und da erschlägt sie einer.«
    Fanni konnte sich nicht erinnern, von Mirza gesagt zu haben, sie
hätte es »voll drauf«. Passt aber, dachte sie.
    »Der Bene ist ein netter Kerl, hat mir immer das Rad geflickt, weißt
du noch, Mama?«, sagte Leni. »Ein paarmal hat er es sogar geputzt und poliert.«
    »Er hat dich angehimmelt, Leni«, antwortete Fanni, »weil du ihn
immer ernst genommen hast.«
    »Das hatte er auch verdient, der Bene«, sagte Leni. »Kann doch nicht
jeder ein zweiter
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