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Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge

Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge

Titel: Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
Autoren: Kristine Gasbarre
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zwischen meinen Schulterblättern und den Spaghettiträgern meines Kleides. Er berührt mich auf eine so vertraute Art, dass ich nur denken kann, wie fremd es sich anfühlt. Ich blicke zum Himmel. »Bitte sag etwas.«
    »Komm, wir setzen uns ins Gras.« Er ergreift meine Flip-Flops und führt mich zu einer Stelle im Schatten einiger Kiefern. Die Wellen plätschern leise. Ich hocke mich auf die Fersen. Zunächst habe ich die Hände verschränkt, aber dann pflücke ich ein Gänseblümchen und drehe es zwischen den Fingern, um etwas zu tun zu haben. Als ich aufblicke, betrachtet er mich aufmerksam.
    Seine Augen sind so blau … so kristallblau …
    »Kris«, sagt er. »Ich spüre doch, dass du mir noch mehr sagen willst.« Das macht er bei seinen Patienten auch, wenn er weiß, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit erzählen. Vielleicht haben sie Angst vor der Diagnose, oder sie fürchten, dass die Behandlung über ihre Kräfte geht … aber wenn er so auf sie zugeht, sind sie jedes Mal erleichtert über sein gutes Gespür. Er möchte mir das Gefühl geben, dass ich dieses Gespräch in der Hand habe, und so schwer es auch ist, es ist genau das, was ich von ihm brauche.
    Na los, sage ich zu mir, er kann dir nicht helfen, wenn er nicht weiß, wie dir zumute ist.
    »Was auch immer es ist, Kris.« Er greift nach meiner Hand. »Ich will es wissen.«
    »Okay, aber es ist schwierig, Chris.« Ich schweige, und einen Moment lang blickt er mich besorgt an. »Ich muss dir einfach sagen, dass ich in den letzten Wochen …« Ich zupfe an den Blütenblättern des Gänseblümchens. »… während ich dich bei der Arbeit gesehen und dir geholfen habe, dich auf die Abreise vorzubereiten … dass ich dabei eine engere Beziehung zu dir entwickelt habe als zu jedem anderen, für den ich je gearbeitet habe.«
    Er macht eine Kopfbewegung, als wenn er sagen wollte: Sprich weiter …
    »Chris, ich habe erkannt, dass ich ein tiefes Gefühl der Zuneigung für dich empfinde …«
    Er sagt immer noch nichts.
    »Und … ich spüre, dass … dass diese Gefühle … unter den richtigen Umständen … sich … in Liebe verwandeln könnten.« Als ich ihn anblicke, lächelt er leicht. »Und ich möchte wissen – ich meine, ich würde gerne wissen – aber du musst es mir natürlich nicht sagen, obwohl ich es wirklich gerne hätte, wenn du mir sagen würdest, ob …« Sprich es doch einfach aus! »Ob du das Gleiche empfindest.« So. »Vielleicht nur ein bisschen.«
    »Wenn ich so etwas empfinde, Kris, dann ist es mehr als nur ein bisschen.«
    Das unterscheidet ihn von anderen Männern, denke ich. Er ist eben einfach vielschichtig. Ich lege ihm die Hand aufs Knie, um ihm deutlich zu machen: Ich möchte auf Augenhöhe mit dir sein. Ich spüre, dass er darauf vertraut, dass ich ihm alles sage.
    »Wenn du jemals etwas für mich empfunden hast«, fahre ich fort, »und wenn du je daran gedacht hast, es mir zu sagen, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Morgen fliegst du auf die andere Seite der Welt, und ich weiß nicht, wo ich bei deiner Rückkehr sein werde. Und jetzt hast du die Chance, mir zu sagen, ob du etwas für mich empfindest. Später will ich es nicht mehr wissen.« Ich drehe das Gänseblümchen zwischen den Fingern und flehe ihn insgeheim an, dieses quälende Schweigen zu brechen. »Nach dem heutigen Tag ist es zu spät. Und, Chris, wenn du nichts empfindest, ist das auch okay, denn …«
    Plötzlich wird mein Gestammel unterbrochen, und ich realisiere, dass sich seine Lippen auf meine gelegt haben. Die Berührung seines Mundes ist wie eine Rosenknospe – es hat sich gelohnt, darauf zu warten. Eine Zeitlang hatte ich mich wirklich gefragt, ob sein medizinisches Wissen darüber, was zwei Menschen bei einem Kuss austauschen, in ihm eine Abneigung gegen diese (höchst angenehme) Aktivität ausgelöst hatte … aber das ist wohl nicht der Fall. Dies ist der natürlichste Kuss, den ich jemals mit jemandem erlebt habe. Es gibt keine Scham, nur Schönheit. Nichts Medizinisches, nur Emotion, und dass er Arzt ist, merke ich nur daran, wie behutsam er mein Gesicht mit beiden Händen umfasst. Seine Berührung ändert das Leben von Menschen, denke ich. Und heute ändert sie meines. Er drückt sein Kinn dichter an meines, aber statt mich der Einladung zu einem weiteren Kuss hinzugeben, lege ich meine Wange an seine. Jetzt bin ich diejenige, die erst einmal alles verarbeiten muss. Ich weiß nicht, wie lange wir Wange an Wange, schweigend,
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