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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Autoren: Martin Horvath
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Prolog
    Damit Sie’s gleich wissen: Meine Haut ist braun. Dunkelbraun. Man könnte auch sagen kaffeebraun, was man natürlich in dieser Stadt der tausend Kaffeehäuser etwas präziser formulieren muss: Je nach Tageslicht und Laune zeigt sich mein schöner Teint nämlich einmal heller, einmal dunkler, schimmert morgens meist in feinem Melangebraun, gibt sich mittags kleiner- oder großerbraunerbraun, verfärbt sich nachmittags zu elegantem Einspännerbraun, um am Abend schließlich – Herr Ober, zahlen bitte – bei sattem Espresso- oder Mokkabraun zu landen.
    In dieser Stadt der tausendundein Konditoreien kann man Kaffee natürlich nicht ohne Kuchen- oder Tortenstück genießen. Doch Linzer Torte will ich nicht, auch Apfelstrudel kommt mir keiner auf den Tisch, es steht mir der Sinn nicht nach Indianerkrapfen oder anderem Unfug für Bleichgesichter, nein, Herr Ober, ein Mohr im Hemd muss es sein, so viel ist klar. Mohr im Hemd will ich, sonst fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut, Mohr im Hemd krieg’ ich, sonst wähne ich mich nicht willkommen in diesem Land.
    So. Nachdem wir das geklärt haben, können wir ja beginnen. Mein Name ist Ali und ich bin neu in dieser Stadt. Seit kurzer Zeit lebe ich in einem Heim unweit der Donau und kenne mittlerweile alle hundertdreißig Mitbewohnerinnen und -bewohner sowie alle Betreuerinnen und Betreuer beim Namen. Die wundern sich, wenn ich sie morgens und mittags und abends auf langen Gängen und engen Treppen begrüße: Wie kannst du dir die Namen so schnell merken, Du bist doch gerade erst angekommen, Du bist ja noch so jung, so staunen sie in vierzig Zungen. Das ist ja wirklich kein großes Kunststück, entgegne ich bescheiden, einem jeden in seiner Sprache. Erstaunlich, sagen sie und schütteln Köpfe mit schwarzen, weißen, gelben und braunen Gesichtern.
    Gelb: Da gibt es zum Beispiel einen, der ist ein Sohn der mongolischen Steppe, er zieht ein Bein beim Gehen hinterher, Männer in Uniform haben es vor zwei Jahren zertrümmert, um ihn zum Reden zu bringen. Er trägt trotzdem die Sonne im Gemüt, doch sei gewarnt, Fremder, vor seinem Fahrtwind – die Eintöpfe, die seine Frau tagtäglich in der winzigen Kochnische ihres Zimmers zubereitet, er zieht ihren Nachhall hinter sich her wie eine Braut die Schleppe ihres Kleides. Weiß: Da ist ein anderer aus den Schluchten des Balkans zu erwähnen, bleichgesichtig schleicht er die schäbigen Gänge entlang, treppauf, treppab, den ganzen Tag über und nicht selten auch nachts, plötzlich ist er hinter dir, neben dir, den jungen Mädchen ist er nicht ganz heimlich, er spricht nicht viel, und man sagt, er habe Schreckliches erlebt, bevor er fliehen konnte aus den kargen Bergen seiner Heimat. Braun: Da haben wir einen, der floh aus Westafrika, das Ehepaar in der Wohnung darunter beschwert sich, weil er in seinem Zimmer stundenlang auf und ab und ihnen auf die Nerven geht. Außerdem haben wir ein Paar aus dem wilden Kurdistan, sie vermehren sich mit atemberaubender Geschwindigkeit, jede Woche gibt es ein blassbraunes Kind mehr, das ängstlich hinter der Tür hervorlugt. Und dann, dann ist da natürlich noch die Schwarze Köchin, der Meereswind, der wolkenschwere, hat sie von einer fernen Insel in trockenere Gefilde geweht. Man kann nicht sagen, dass sie mit Geist oder Anmut gesegnet wäre, aber, jedoch, obschon: Wenn sie kocht, wenn sie schnetzelt und hackt und knetet und rührt in ihrer Puppenküche, dann sprechen die Götter aus ihr mit tausend Stimmen. Der Reisgott Xamun, der von den Bewohnern Bhutans verehrt wird; der dreiköpfige Gomilo, dem die Köche Avusturiens Schreine errichtet haben in ihren Küchen; Myi-Xhi-Lin, die Sternenglänzende; Ibeorga, die Schöne, Ibeorga, die Schreckliche: Sie alle schweben über den Töpfen, sie schleichen wie Katzen um die Beine der Schwarzen Köchin, sie sitzen am Wackeltisch und klappern wie ungezogene Kinder mit billigem Blechbesteck und warten voller Ungeduld darauf, endlich, endlich ihre göttlichen Zähne in irdische Genüsse schlagen zu dürfen. Nicht zuletzt wären da meine unmittelbaren Mitbewohner im obersten Stock zu erwähnen, so jung, so unschuldig, ach, und dann müsste ich natürlich über Mira berichten – – – doch genug, genug! Nicht alle sollen sich hier in den Vordergrund drängen, es gibt ja ohnehin keinen, keinen Einzigen hier im Haus, der mir auch nur ein Glas Wasser reichen könnte.
    Was all diese Menschen, seien es Kinder, Jugendliche oder Erwachsene,
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