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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Autoren: Martin Horvath
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selben Augenblick. Ich habe genug davon, unausgeschlafene Gesichter wiederzugeben, klagt mir der Spiegel sein Leid, ich möchte gerne zu mir selbst finden, erklärt er mir. Doch ich habe genug von analfixierten Klomuscheln und frustrierten Spiegeln und verlasse fluchtartig das Bad.
    Mein Tagwerk wurde gestört, mein Tagesablauf durcheinandergebracht. Nach dem Frühstück fliegen normalerweise alle aus, um nach mehr oder weniger kurzem Flug in irgendeinem Kurs zu landen: im Alphabetisierungskurs, im Deutschkurs für Anfänger, im Deutschkurs für Fortgeschrittene, im Hauptschulabschlusskurs, im EDV -Kurs, es gibt kaum einen Kurs, den es nicht gibt, manche davon finden im Haus statt, andere wiederum außerhalb. Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss; man lernt also, man studiert, man bildet sich, ich bilde mich, du bildest dich, er/sie/es bildet sich, man bildet sich weiter, man bildet sich fort, man bildet sich und so weiter und so fort. Bildung ist das halbe Leben, trichtert man uns ein, ohne Bildung keine Integration, und bildet euch nur nicht ein, ihr wüsstet schon alles.
    Ich habe mich freiwillig zum Deutschkurs gemeldet, aber natürlich nicht, um Deutsch zu lernen – das beherrsche ich weit besser als Lukas Neuner, unser sogenannter Lehrer –, sondern um an meinen Mitbewohnern und ihren Geschichten dranzubleiben. Woher kommst du, lautet des Lehrers Frage heute, und obwohl es sich um eine Wiederholung der Lektion vom Vortag handelt, gelingt es nur den wenigsten meiner Mitbewohner, die Frage richtig zu beantworten und an den jeweiligen Sitznachbarn weiterzugeben. Ich stamme vom Planeten Erde am Rande der Milchstraße, lautet meine Antwort, als ich an der Reihe bin. Und wo stand deine Wiege, mein schönes Kind, befrage ich Amal, die keineswegs schön und auch kein Kind mehr ist, höchstens eines von Traurigkeit. Ich komme von The Gambia, antwortet sie und senkt errötend den Blick. Wunderbar, lobt der Mann, der meint, uns Deutsch beibringen zu können. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt, fährt er fort, und wie alt bist du, fragt er Amal. Siebzehn, antwortet Amal, noch immer mit geröteten Wangen, wobei es ja Bleichgesichter gibt, die der festen Überzeugung sind, Menschen mit schwarzer Hautfarbe könnten weder erröten noch erbleichen, und ich frage mich, ist das Wangenrot immer noch auf mein großzügiges Kompliment zurückzuführen oder ist es die Lüge über das eigene Alter, die Amal die Schamröte ins Gesicht treibt. Ich nehme ihr die Altersangabe nämlich nicht ab, oder vielmehr, man müsste ihr das eine oder andere Jahr abnehmen, um auf siebzehn zu kommen, und wenn wir schon beim Abnehmen sind – es würde ihr durchaus nicht schaden, auch gleich ein paar Kilo loszuwerden. Okay, okay, wäre Mira im Raum, würde sie mir jetzt auf die Finger klopfen. Das geht dich überhaupt nichts an, höre ich sie sagen. Jaja, ich weiß, du hast ja recht.
    Warum Amal Mbowe aus dem reizenden Gambia sich jünger macht, als sie tatsächlich ist? Nicht etwa aus Eitelkeit, nein, sondern natürlich, um ein klein wenig besser gerüstet zu sein für die schwindelerregenden Abgründe des hiesigen Asylsystems. Das Gleiche gilt übrigens auch für Adolphe Mwenga aus dem zauberhaften Kongo – der Mann mit dem unzweifelhaft schönsten Vornamen im Haus, der Mann mit dem kessesten Oberlippenbärtchen –, denn obwohl sein Bärtchen ein flaumiges ist, muss man auch bei ihm zu den offiziellen siebzehn ein paar inoffizielle Jährchen hinzurechnen. Mehr darf und will ich dazu nicht sagen, denn es könnte von den übereifrigen Beamten des Bundesabschiebeamtes gegen Adolphe oder Amal ausgelegt werden.
    Vor dem Kursraum im Erdgeschoss des Hauses läuft mir Mira über den Weg, die gerade aus dem Büro der Anstaltsleiterin tritt. Gemeinsam besteigen wir den Lift, doch leider zwängt sich im letzten Augenblick Hans Pogatschnigg als störende Präsenz zwischen uns. Hans, leicht zu erkennen an der Nickelbrille, am stets zerknitterten T-Shirt, den fleckigen Jeans und der immer etwas zerdrückten Frisur, ist einer von fünf Betreuern, die sich mit Mira den Dienst teilen, sodass tagsüber immer zwei, nachts einer anwesend ist, dazu kommen noch unser Chefaufseher und ein Zivildienstleistender.
    Nenn’ sie nicht Schafzüchter und Ziegenhirten und Kameltreiber und Kuhdungsammler, weist Mira mich zurecht, als ich ihr von den kaum merklichen Fortschritten meiner Mitbewohner im Deutschkurs berichte. Jaja, du hast ja recht, mein schönes
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