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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Autoren: Martin Horvath
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Gutmütigkeit, das muss man ihm zugutehalten.
    Manchmal wird beim Essen lautstark diskutiert, in einer Melange aus Deutsch, Englisch und verschiedenen anderen Sprachen wird da über Fernsehsendungen, Fußball, das Internet oder über Pop- und Filmstars gesprochen, man redet über Computerspiele oder die neuesten Mobiltelefone, die sich ohnehin niemand leisten kann. Es gibt aber auch Tage, an denen kaum oder gar nicht gesprochen wird, Tage, an denen die Küche mit ihren zwei langen Tafeln zum klösterlichen Refektorium wird. Und jeder meiner Brüder und Schwestern verharrt dann in selbst auferlegtem Schweigen, jeder ist in seine eigene Welt mit jeweils eigenen Problemen eingesponnen, ein Dutzend Paralleluniversen füllt an diesen Tagen die Weiten des Weltalls, und dazwischen klaffen riesige schwarze Löcher.
    Heute ist so ein Schweigetag, doch Afrim aus dem lieblichen Kosovo versucht gerade, die Löcher mit viel Getöse zu stopfen. Wo ist dein Mann, fragt er Mira, die sich ebenfalls eine Portion vom Eintopf geholt und sich auf einen freien Platz neben Afrim gesetzt hat. Wie kommst du auf die Idee, dass ich einen Mann habe, gibt sie mit hochgezogener Augenbraue zurück. Afrim deutet mit dem Daumen ans andere Ende des Tisches. Du hast Tochter, sagt er. Miras Töchterchen Alenka blickt auf. Sie kommt nach der Schule oft ins Haus, ihr elfter Frühling zieht dieser Tage blütenbunt ins Land, und sie ist ganz die Frau Mama, das gleiche Augengrün, der gleiche Lippenschwung, der gleiche rötliche Schimmer im braunen Haar. Mira meidet Alenkas Blick. Um Kinder zu haben, braucht man heutzutage keinen Mann, sagt sie schulterzuckend. Wie willst du Kind machen ohne Mann, fragt Afrim hitzig, als fühlte er sich persönlich um seine Daseinsberechtigung als Mann betrogen. Mira beginnt, verschiedene Methoden der künstlichen Befruchtung aufzuzählen und amüsiert sich dabei ganz offensichtlich über Afrims verständnislosen Blick. Sie scheut auch nicht davor zurück, auf die Möglichkeit der Unbefleckten Empfängnis zu verweisen, doch ich merke, dass ihr das Thema trotz des scherzhaften Tons unangenehm ist.
    Nun gut, wenn die Mutter nicht sprechen will, dann wird eben das Töchterchen befragt. Wo ist dein Vater, frage ich sie, nachdem sie sich vom Mittagstisch erhoben hat und Mira wieder Richtung Büro verschwunden ist. In manchen matriarchalischen Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes, so lautet die Antwort des guten, für sein Alter ziemlich reifen Kindes, haben sich die Königinnen einen Mann für ein Jahr ausgesucht, haben ein Kind von ihm bekommen, am Ende des Jahres wurde er dann geopfert und das Blut seiner Geschlechtsteile auf den Feldern verteilt. Ich muss schlucken, ich greife mir verlegen an meine Geschlechtsteile, ja, es ist noch alles dran, was so zur Ausrüstung gehört, stelle ich erleichtert fest. Ich wusste gar nicht, dass deine Mama eine Königin ist, sage ich. Hat sie dir das nicht erzählt? Ohne meine Antwort abzuwarten, dreht sie sich um und hüpft singend und dem Schachbrettmuster der Bodenfliesen folgend aus meiner Ratlosigkeit davon.
    Da ich ein braver Schüler bin, erledige ich meine Hausaufgaben gleich nach dem Mittagessen. Es ist Viertel vor zwei. Es ist 18.15 Uhr. Es ist halb acht. Heute ist Dienstag. Übermorgen ist Donnerstag. Wie heißen Sie? Ich heiße Kunibert Kleppenkamp. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Kleppenkamp. Sind Sie sicher? Haben Sie morgen um Viertel nach elf Zeit? Nein, da schlafe ich noch. Möchtest du mit mir tanzen, Ali? Naja, wenn’s sein muss. Möchtest du mich heiraten? Okay, meinetwegen, aber nur dienstags. Wann hast du Geburtstag, Ali? Irgendwann während der Regenzeit. Und was wünschst du dir zum Geburtstag? Einen Staubsauger und ein Mal Mohr im Hemd. Und ein besseres Deutschbuch.
    Doch Schluss mit derlei kindischem Getue, im Haus warten schließlich größere Aufgaben auf mich! Ich räume meine Kursunterlagen beiseite und begebe mich auf meinen täglichen Rundgang. Auf dem Gang ist es ruhig, soweit ein Haus ruhig sein kann, in dem zwecks Generalrenovierung Tag für Tag geklopft und gehämmert und gebohrt und geschliffen wird. Aus dem Büro hört man eifriges Geklapper, im Vorbeigehen sehe ich Mira und Hans an ihren Schreibtischen sitzen und in die Tasten hämmern. Brav, brav, rufe ich ihnen zu, nur weiter so! Sie blicken kurz irritiert auf. Die Tür zum Büro unseres Chefaufsehers ist wie immer geschlossen, er wirkt lieber im Stillen, der Mann mit dem bundesdeutschen
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