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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Autoren: Martin Horvath
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Kind, gebe ich mich zerknirscht, aber ich liebe sie ja trotzdem alle, auch wenn sie Bauern und Hirten sind. Nenn mich nicht schönes Kind, wehrt sie sich gegen mein Kompliment. Aber du bist doch schön! Sie lächelt. O, wie überlegen sie sich gibt, ha, aber sie fährt sich trotzdem mit dem Fingerkamm durchs rotbraun schimmernde Haar! Vielleicht. Aber ich bin nicht dein Kind, im Gegenteil, ich könnte deine Mutter sein. Meine Mutter? Das heißt also, es wäre Inzest, mit dir ins Bett zu gehen? Na hallo, glaubt Hans sich empören zu müssen. Du bist ein unverschämter Bengel, wirft Mira mir an den Kopf. Ja, mein schöner Engel, flöte ich ihr zu.
    Woher kommst du, fragte ich sie gleich an meinem ersten Tag im Haus. Ist das wirklich so wichtig, gab sie zurück. Aus Wien, antwortete sie bei meinem zweiten Versuch, doch ich wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte, auch wenn sie ein wunderbar melodiöses, akzentfreies und beinahe fehlerloses Deutsch spricht. Ich komme aus einem Land, antwortet sie mir nun, als der Lift im vierten Stock mit einem Ruck stehen bleibt, in dem Menschen jahrzehntelang Nachbarn, Kollegen, Freunde gewesen waren und sich plötzlich gegenseitig die Schädel einschlugen. Ich bin in einer Stadt aufgewachsen, in der Katholiken, Muslime und Orthodoxe Tür an Tür wohnten und sich trotzdem von einem Tag auf den anderen nur noch mit Gewehren unterhielten. Ich verstehe, sage ich. Gar nichts verstehst du, sagt sie und tritt gemeinsam mit Hans auf den Gang hinaus.
    Auch ich verlasse den Lift und blicke ihr hinterher, wie sie mit kaum merklichem, aber umso betörenderem Hüftschwung von dannen schwebt. O, ich sollte Gedichte schreiben für sie … Du Stern über strahlenden Städten, Mond über milchigen Meeren, Muse mit melischem Munde, du, und Braut mit den bronzenen Brüsten, Körbchengröße A übrigens, klein und fest, genau so, wie sie sein sollen, ihre Füße sind vielleicht ein bisschen groß geraten, Schuhgröße 40, sind aber schlank und elegant und durchaus wohlproportioniert. Und diese Füße tragen sie nun hinaus aus meinem Blickfeld Richtung Büro, ich hingegen steuere auf die Küche zu, denn es ist Zeit fürs Mittagessen.
    Die Erwachsenen in den unteren Stockwerken kochen selbst, und die unterschiedlichsten Gerüche, die dabei tagtäglich das Haus durchziehen, vermengen sich zu einer Mischung aus Vertrautem und Unbekanntem. An guten Tagen liegt Heimat für alle in der Luft, an schlechten Fremde, meist aber reicht es bloß für das Niemandsland dazwischen. Wir im Leo hingegen werden mittags bekocht, so soll es auch sein, wir sind ja noch Kinder, wir sind zu klein, um zum Herd hinaufzugelangen. Nachdem mir der Eintopf, der heute auf dem Speiseplan steht, nicht scharf genug ist, füge ich ein bisschen von meiner selbst zubereiteten Gewürzmischung hinzu. Scharf, fragt Kamal das Kamel, das sich zu mir an den Tisch gesetzt hat. Nicht sehr, antworte ich. Darf ich probieren? Aber natürlich. Er nimmt eine Prise zwischen Daumen und Zeigefinger und streut sie über seinen Teller. Nach dem dritten Bissen wird sein Gesicht rot, nach dem fünften blau, dann beginnt es aus seinen Ohren zu rauchen. Ist alles in Ordnung, Kamal, frage ich besorgt. Kamal, hallo, geht es dir gut? Er ist tot, stellt Afrim Destani aus dem idyllischen Kosovo mit Kennerblick fest. Es dauert zehn Minuten und braucht drei Liter Wasser, bis sich Kamals Gesichtsfarbe normalisiert hat und er wieder sprechen kann.
    Kamal, oder eigentlich Abu-Bakr al Kamal, wird übrigens nie lernen, mit Besteck zu essen. In seiner Heimat im hintersten Gewinkel Afghanistans hinter den Bergen bei den sieben Schergen sind Gabel und Löffel unbekannte Instrumente, Instrumente, mit denen er hier zum ersten Mal konfrontiert wurde. Er gibt sich Mühe, das kann man ihm nicht absprechen, doch bis jetzt hat sich diese Mühe nicht bezahlt gemacht. Auch sonst ist er nicht gerade der Hellste, um es großzügig zu formulieren, warum ausgerechnet so jemand Kamal, also Vollkommenheit heißt, ist mir schleierhaft. Bakr bedeutet übrigens Kameljunges, und das trifft den Nagel schon eher aufs hohle Geköpf. Sein Blick folgt jedenfalls angestrengt den Bewegungen der eigenen Hände, als würden diese vom Besteck geführt und nicht umgekehrt. Willst du nicht lieber die Werkzeuge verwenden, die dir Allah in seiner unendlichen Weisheit geschenkt hat, frage ich ihn. Er blickt fragend zurück, Unverständnis in den jungen Kamelaugen, Unverständnis, aber auch große
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