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Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Autoren: Jörg S. Gustmann
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Kapitel 1
    Mai 2011, Lüneburg

    Eine Krähe, leuchtend schwarz, hampelte auf einem Ast herum, putzte sich mit dem Schnabel das in der Sonne violett schimmernde Gefieder. Ruckartig bewegte sie den Kopf, blickte nach oben, nach links, zurück in den Baum hinein, dann nach unten auf das Geschehen am Ufer. Sie langweilte sich und flog davon.
    Totes Menschenfleisch interessierte sie nicht.
    Der Fundort war weiträumig abgesperrt worden. Kommissar Martin Pohlmann befand sich innerhalb dieser Absperrung, gemeinsam mit einem Fotografen um die 30, dessen Namen er nicht kannte und der scheinbar emotionslos seine Arbeit verrichtete. Blonder strubbliger Schopf, weißes Camp- David - Hemd zu beiger Hose, lässig aufgekrempelte Ärmel. Braune Sneakers mit gelblichen Streifen, vermutlich italienischer Herkunft. Mal kniete er am Boden und knipste eifrig, dann stand er auf, stellte sich neben das Objekt auf seinem Display, mal trat er einen Meter zurück, um den ›neuen Fall‹ innerhalb der idyllischen Umgebung einzurahmen. Ein junger Typ, der jeden in seinem Umfeld mit seiner hibbeligen Art nervte. Dass sein Mageninhalt kurz unterhalb des Kehlkopfes boshaft lauerte und den Weg ins Freie suchte, verbarg er perfekt.
    Zwei weitere Beamte von der Spurensicherung warteten auf ihren Einsatz. Ihre strahlend weißen, aus dünner Gaze bestehenden Ganzkörperkondome reflektierten das Sonnenlicht, sie wirkten wie Aliens, völlig fehl an diesem Ort der Idylle und doch wussten sie genau, was sie zu tun hatten: Spuren zu wittern, die auf einen Mord hinwiesen.
    Werner Hartleib, Kollege und Freund Pohlmanns, stand neben ihm und kramte, auf der Suche nach einem Stift, in seiner Jackentasche. Einen Block hielt er bereits in der Hand.
    Eine Polizistin, blass wie die Wolke über ihr, stakste wie ein Teenager an ihrem Realschulabschlussball von einem Fuß auf den anderen und blickte irritiert in der Gegend herum. Pohlmann kannte auch sie noch nicht. ›Muss eingestellt worden sein, nachdem ich abgehauen war‹, fuhr es ihm durch den Sinn.
    Martin betrachtete den am Boden liegenden Grund, warum er gerufen worden war. Im Angesicht dessen, was er dort vor sich sah, schloss er seine Augen, nur für die Dauer einiger Herzschläge. Die Welt noch einen Augenblick aussperren.
    Er legte den Kopf in den Nacken und ließ die Sonnenstrahlen das Gesicht erwärmen. Wenige Sekunden der Flucht, bevor es losging.
    Angenehm: Es roch nach Frühling; nach blühenden Büschen, Blumen und Gräsern, deren Pollen bisweilen seine allergiegepeinigte Nase kitzelten. Insekten summten, das leise Schwappen des Wassers drang verhalten an sein Ohr und vermischte sich mit dem fröhlichen Gejohle entfernt spielender Kinder, die nicht gewahr wurden, was geschehen war. In den Bäumen hockende Vögel veränderten ihren Gesang in Anwesenheit eines Toten nicht im Geringsten. Die Krähe hatte nie gesungen, nur gekrächzt, sie hatte sich auf und davon gemacht. Auch die Sonne wärmte die Haut genauso wohlig wie im Urlaub. Doch Kommissar Martin Pohlmann war nicht im Urlaub. Leider. Er wünschte es sich, als er die Augen öffnete und an der Realität wieder teilnahm. Er sah direkt in die unter Todesangst erstarrte Fratze einer livide verfärbten und aufgedunsenen Wasserleiche, die nur ihn mit starrem Blick ansah, voller Vorwurf und Verzweiflung. Sie schien zu rufen: Du hast mir das eingebrockt, du bist an allem schuld.
    Pohlmann schüttelte den Kopf und wies die verstörenden und ganz und gar falschen Gedanken zurück. Er mochte ja an vielem schuld sein – gewiss – und mit dem, was ihn zutiefst belastete und quälte, war er noch lange nicht fertig, aber dass er auch nur entfernt etwas damit zu tun haben sollte, dass der Mann, der ihn nun aus glasigen Augen anglotzte, seinetwegen gestorben war, nein, das wies er entschieden zurück.
    Irritiert zuckte er zusammen, als hätte ihn eine Fliege erschreckt, und murmelte Unverständliches. Er versuchte, sachlich zu bleiben. Schließlich hatte er als Bulle schon viele Leichen gesehen. Erstochene, erschossene, erhängte, erschlagene, zu Tode gespritzte oder mit durchtrennter Kehle erstickte und verblutete. Ebenso solche, denen das Fleisch von den Knochen fiel, wo die Verwesung bereits ganze Arbeit geleistet hatte. Bilder, die, wenn er schlief, in unregelmäßigen Abständen hinter seinen Lidern aufflackerten oder an die er sich bei Tag unfreiwillig erinnerte. Jede erdenkliche Abart eines toten Menschen hatte er in seiner Dienstzeit bei der
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