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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman
Autoren: Susanne Eder
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KAPITEL 1
    Worms, im Frühjahr Anno Domini 1066
     
     
     
     
    M it Einbruch der Nacht kam ein böiger Wind auf, der um die Glockentürme der Kirchen heulte, an Türen und Fensterverschlägen rüttelte und Unrat durch die dunklen Gassen der Stadt wirbelte. Der Wind brachte dichte Wolken mit, die das Mondlicht verbargen, und Kälte - die Abgesandte des Winters. Heimtückisch kroch sie durch jede Ritze in die Häuser, als wolle sie der Menschen spotten, die just an diesem Tag das Frühlingsfest gefeiert hatten.
    Gleich einem grauen Schatten huschte Penelope, die Domkatze, am Fuß der Mauer entlang, die das Anwesen des Burggrafen von Worms umgab. In der Nähe des Tors mit der eingelassenen Pforte machte die Katze halt und sprang geschmeidig auf die Mauer. Einen Augenblick lang verharrte sie dort oben, spitzte die Ohren und lauschte. In das Lied des Windes mischte sich ein gedämpftes Stöhnen, das aus dem Abtritt zwischen der Scheune und dem Haupthaus des Burggrafen drang. Das Geräusch schien Penelope jedoch nicht zu beunruhigen. Sie sprang von der Mauer und landete auf weichen Pfoten im Kräutergarten der Burggräfin. Schnurstracks lief sie an den noch winterkahlen Sträuchern vorbei quer über die Beete, dann setzte sie mit einem Sprung über die niedrige Gartenmauer und strebte auf den überdachten Eingang zu, der vom Tor in den Hof führte.
    Schwache Rufe von draußen und ein drängendes Klopfen
an der Pforte ließen die Katze jäh innehalten. Doch die Geräusche verloren sich im Heulen der heftigen Böen, und niemand außer Penelope schenkte ihnen Beachtung. Mit angelegten Ohren starrte die Katze in die Richtung, aus der die Laute kamen. Kurz darauf verriet das Knarren der Pforte, dass jemand eingetreten war. Schwere, ungleichmä ßige Schritte kratzten über den Boden, begleitet von keuchendem Atem. Ein spärlicher Lichtschein tanzte über die gewölbten Wände des Eingangs. Die Hand, die die Lampe hielt, schien zu zittern, denn der Lichtschimmer hüpfte unstet auf und nieder, als würde es dem Träger schwerfallen, ihn auf einen Punkt zu konzentrieren. Hinter der Lampe bewegte sich eine Gestalt, die mit schwankenden Schritten den Hof betrat. Einen Lidschlag lang fiel der Lichtschein auf Penelope, die wie erstarrt flach am Boden kauerte, bevor die Lampe der Hand ihres Trägers entglitt und auf den Boden fiel.
    Das Licht erlosch.
    Der Eindringling schenkte dem Verlust kaum Beachtung. Keuchend schleppte er sich weiter, dem Haus zu, und hatte die Türschwelle fast erreicht, als ein starker Windstoß seinen Umhang erfasste. Einen Moment lang schwankte er, dann brach er zusammen, und der Wind trug ein letztes Röcheln zu der Katze hinüber.
    Eine Weile verharrte Penelope, und nur ihre Ohren, die sich bald hierhin, bald dorthin drehten, verrieten ihre Wachsamkeit. Doch die Gestalt am Boden rührte sich nicht mehr. Schließlich richtete sich die Katze auf und schlich, augenscheinlich so neugierig wie vorsichtig, darauf zu.
    Sie hatte das reglose Bündel Mensch noch nicht erreicht, als der Himmel unvermittelt seine Schleusen öffnete. Dicke Regentropfen prasselten auf den Boden und schlugen, vom Wind getrieben, gegen die Mauern. Der plötzliche Schauer trieb Penelope auf das Dach des Eingangs. Von dort aus
sprang sie auf das Sims der burggräflichen Schlafkammer, just als Egin, der Torwächter des Burggrafen, fluchend aus dem Abtritt trat und sich hastig im Torgewölbe vor dem Regenguss in Sicherheit brachte.
     
    Ein rhythmisches Klappern drang in Bandolfs Träume und verlangte hartnäckig seine Aufmerksamkeit. Der Burggraf von Worms blinzelte verschlafen. Ein Streifen Mondlicht fiel durch den geöffneten Fensterverschlag, verschwand und erschien wieder, im selben enervierenden Rhythmus, wie der hölzerne Laden hin- und herschwang und gegen den Rahmen schlug. Unmutig brummend wälzte Bandolf sich auf die andere Seite, fest entschlossen, das Klappern zu ignorieren. Doch das penetrante Geräusch hielt an, ärgerte sein Ohr, und der Schlaf wollte sich nicht mehr einstellen.
    Schließlich kapitulierte er. Mit einem leisen Ächzen setzte er sich auf und warf einen Blick auf seine Gattin, die in ihre Felldecke gekuschelt neben ihm schlief. Das unstete Mondlicht fiel auf ihr prachtvolles Haar und auf Penelope, die sich auf einer der langen Strähnen breitgemacht hatte.
    »Du solltest dich trollen«, empfahl Bandolf der Katze flüsternd. »Wenn mein Weib dich hier erwischt, zieht sie dir das Fell über die Ohren.« Penelope
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