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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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weg. Wer weiß, was da los ist? Bewegt eure Ärsche!«
    Und bevor der Polizist im offenen Polizeiwagen irgendwas erwidern kann, steigt Arthur auf der Beifahrerseite aus und hebt beschwichtigend die Hand. »Versuch ruhig zu bleiben, Samuel. Wir haben jetzt einen Plan gemacht, wo wer sucht.«
    »Ruhig bleiben? Es ist ja toll, wenn dir das gelingt. Du hast ja schon in den letzten Tagen bewiesen, dass du verdammt cool bleiben kannst.«
    »Samuel!« Das war meine Mutter. »Beruhig dich. Versuch einfach, nicht die Nerven zu verlieren, in Ordnung? Wir sind hier nicht beim Free-Style-Fighten.«
    Samuel fährt herum, seine Arme fliegen, er schiebt die
Ärmel noch weiter nach oben, so, als wollte er losprügeln. »Machst du dich jetzt lustig über mich?«
    »Meine Güte, nein!«
    »Um über deinen Mann hinwegzukommen, war ich gut genug, und jetzt machst du dich lustig über mich, weil ich mal ausspreche, was dieser Öko-Typ für ein Scheiß-Egoist ist. Während seine Freundin hier versucht, auf den Beinen zu bleiben, plant er seine komische Plastikflaschen-Segelaktion. Das nenne ich Liebe.«
    Arthur haut die Wagentür zu und kommt langsam auf den mächtig aufgebrachten Samuel zu. Arthur versucht, ruhig zu klingen: »Halt dich da raus, Samuel. Du hast doch keine Ahnung.«
    »Ja, da kannst du recht haben. Aber ich kriege wenigstens mit, wenn die Leute um mich herum meine Hilfe brauchen, und mache nicht einen auf total egoistisch.«
    Arthur schlägt plötzlich aufs Autodach, so, als müsse er Dampf ablassen, und kommt um den Wagen herum. »Willst du mir damit sagen, ich bin nicht für Lelle da?«
    »Allerdings. Schließlich musstest du ja noch ein paar Plastikflaschen an deinen Katamaran schrauben, Interviews geben und für die Fotografen vor deinem Boot posieren.«
    »So ein Schwachsinn.«
    Meine Mutter streicht sich die Haare nach hinten. »Samuel, lass ihn. Wir müssen jetzt einfach Lelle finden - und dass es zwischen uns nicht weitergeht, tut mir leid. Aber ich könnte nun mal, ganz ehrlich, deine Mutter sein.«
    »Na und? Mensch ist Mensch. Okay?!«
    Und bevor das Ganze eskaliert, möchte ich rufen, dass ich hier bin. Aber es kommt kein Ton aus meiner Kehle.
Dafür bemerkt der andere Polizist, der jetzt hinten aus dem Wagen steigt: »Können wir dann mal eben ins Haus gehen und drinnen erläutern, wie wir vorgehen?«
    Schritt für Schritt bewegen Johannes und ich uns näher heran. Vor mir verschwimmt alles und in meinem Kopf hämmert es. Ich höre, wie meine Mutter verzweifelt fragt: »Kommen denn noch ein paar mehr von Ihren Kollegen oder nur Sie beide? Das wird doch nichts. Elisabeth kann überall sein.«
    Arthur legt ihr den Arm um die Schultern. »Alles wird gut.«
    Ich bin mir da nicht so sicher. Obwohl ich sagen muss, dass dieser Samuel echt, bei aller Aggressivität, Format hat. Hätte ich gar nicht von ihm gedacht.
    Als Arthur hinter meiner Mutter Richtung Haustür geht, bemerkt er uns endlich. »Da ist sie.«
    Mit hängenden Armen starrt er uns entgegen. Jetzt ist wohl alles klar. Klar ist, dass ich Scheiße gebaut habe. Klar ist, dass ich mich nicht auf einen Jungen konzentrieren kann. Klar ist, dass ich Liebe will und Liebe brauche. Klar ist, dass ich geliebt werden will und mich nie geliebt fühle. Klar ist, dass mir alles aus den Händen gleitet, dass ich nicht vernünftig bin, auch, wenn ich niemanden verletzen möchte. Klar ist, dass ich nicht genug Leben bekomme, dass ich immer noch mehr will und doch hungrig bleibe. Klar ist, dass ich schwimme, und nirgends ist eine Rettungsinsel zu entdecken. Und würde ich doch, durch Zufall, das rettende Ufer erreichen, würde ich nicht für immer an Land bleiben wollen, um von dort aus auf den reißenden Fluss zu starren, der mein Leben ist. Denn er besitzt diese übermächtige Sogkraft, etwas Hypnotisierendes. Er lockt mich und flüstert: »Willst du nicht fließen?
Willst du nicht schnell weiterkommen? Willst du nicht die Untiefen kennenlernen? Die Schmerzen, das Ungewisse?« Und zu allem würde ich Ja sagen. Kaum, dass meine Kleider halbwegs getrocknet und meine Wunden abgeheilt sind, würde ich wieder ins reißende Wasser des Lebens springen, so lange, bis ich, wie Alina, darin untergehe.
    »Lelle, wir haben uns Sorgen gemacht.« Arthurs Stimme klingt ruhig, doch unterschwellig höre ich Wut und Enttäuschung heraus. Es tut mir leid, dass ich ihm wehtue. Niemals will ich jemandem wehtun. Erst recht nicht meiner Mutter. Doch sobald ich lebe, tue ich anderen weh.
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