Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
Vom Netzwerk:
ihm heran, schlinge meine Arme um seinen Hals und komme mir noch viel kleiner neben ihm vor als sonst. Er legt nur einen Arm um mich, so, als wolle er sagen, beruhig dich, es ist aus, sieh es ein. Es ist, als würde er sich von mir trennen, nicht ich von ihm. Vielleicht hat uns die Zeit getrennt. Ich will nicht. Ich schlinge meine Arme noch fester um ihn, rolle mich in Unterwäsche in seinem Schoss zusammen und flüstere: »Lass mich nicht allein!«
    Und Arthurs Kinn liegt auf meinem Kopf, ich höre ihn gleichmäßig atmen und höre an seinem Atem, dass er sich längst verabschiedet hat. Von mir, von seiner Jugend, von unserer Liebe. Und ich weiß, dass er nicht mehr wiederkommen wird.

    Ich murmle mit belegter Stimme: »Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als mein Leben.« Und es stimmt. Es stimmt. Ich liebe ihn mehr als mein Leben, denn er ist mein Leben, er ist meine Erinnerung, mein Zeuge. Er weiß, besser als ich, wer ich bin.
    Ein letztes Mal sehen wir uns in die Augen, noch einmal küssen wir uns zärtlich, berühren sich unsere Lippen. Gerade noch liegen meine Hände in seinen, sanft umschlossen, noch einen letzten Atemzug, bevor er meine Hände sanft aus seinen gleiten lässt, sodass sie auf die Decke rutschen und dort liegen bleiben, so, als gehörten sie nicht zu mir. Arthur erhebt sich langsam und geht Richtung Zimmertür. Obwohl ich gerne aufstehen möchte, um mich an ihm festzuklammern, damit er bleibt, bleibe ich im Bett sitzen und sehe meinem Freund nach, der nicht mehr mein Freund ist. Und doch ist er der beste Freund, den ich jemals hatte. Ich beiße mir auf die Lippen und er soll sich noch einmal umdrehen.
    Arthur greift nach der Türklinke, bleibt für einen Moment mit dem Rücken zu mir stehen, dann wendet er sich langsam um: »Pass auf dich auf, Lelle!«
    Ich nicke und schon wieder schießen mir Tränen in die Augen. Ich klinge wie ein kleines Kind, als ich sage: »Mache ich. Und du auf dich. Bitte komm wieder.«
    Arthur lächelt, sodass seine geraden Zähne kurz aufleuchten, dann wird er wieder ernst. »Ich verspreche dir nichts.«

    Ich weiß nicht, wie spät es ist, wie lange ich hier schon wie gelähmt im Bett unter meiner Decke liege und weine. Draußen kratzen die Zweige der Rosenbüsche über die Fensterscheibe. Der Himmel hat sich bewölkt und ich
lausche in die Stille hinein, in der Hoffnung, etwas zu hören, das mir Halt gibt. Etwas, an dem ich mich hinaufziehen und aufstehen kann. Etwas Bekanntes. Ich will nicht mehr liegen, schaffe es aber nicht alleine hoch. Mein Handy liegt unter der Matratze in der Blechdose. Ich könnte Johannes anrufen, fragen, wie es seiner Nase geht. Arthur fährt mit seinen Leuten und dem Anhänger mit dem Boot immer weiter Richtung Küste. Wenn nur jemand da wäre, der den Raum um mich herum ausfüllt. Mama. Oder meine Schwester mit Helmuth und Mimi. Oder Papa. Ich weiß nicht, was mich gerade noch atmen lässt. Wo ich bin. Ich muss mich finden, hier unter der Bettdecke, in meinem Zimmer. Es ist, als hätten Arthur und Johannes je einen Teil von mir mitgenommen und seien in zwei unterschiedliche Richtungen verschwunden. Es ist, als sei ich nicht mehr vorhanden, als könnte ich mich nie wieder zusammensetzen.
    Ich raffe mich auf. Sehe über die Bettkante, lasse meinen Arm hinuntersinken und taste nach der Blechdose. Da ist sie. Ich ziehe sie unter dem Bett hervor und nehme den Deckel herunter und das Handy heraus. Ich wähle Johannes’ Nummer, dann lege ich wieder auf. Nein. Nicht Johannes. Plötzlich weiß ich, was zu tun ist. Ich springe aus dem Bett, steige in meine Jeans, streife mir das T-Shirt von gestern über und renne aus dem Haus.
    Ich renne die verhangene Straße hinunter, es nieselt, die Hitze steigt dampfend vom Asphalt auf. Die Sohlen meiner Chucks quietschen, schon bald ist mein T-Shirt feucht und klebt mir unangenehm am Rücken und der Brust. Ich laufe weiter, an den Häusern und den Vorgärten vorbei. Über mir verschwindet ein silbriges Flugzeug in den Wolken, ich renne weiter, am Spielplatz vorbei, ich
versuche, nicht auf die Nacktschnecken zu treten, die sich langsam und gemächlich über den Weg Richtung Pfützen ziehen. Ich renne weiter und überall hängt der feuchte, hitzige Dunst in den Ästen, es tropft von den Blättern der Büsche und Bäume, und hier renne ich, immer weiter, als hätte ich nie etwas anderes gemacht, geradewegs zu den Tennisplätzen. Und kurz bevor ich sie erreicht habe, bricht die Sonne mit solch einer Gewalt und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher