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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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Mama ist es nicht. Die hätte mir schon längst einen Guten Morgen gewünscht und den Vorhang zur Seite gerissen. Ich blinzle. Arthur sitzt auf meiner Bettkante und sieht mich abwartend an. Ich sehe ihn an. »Wie lange sitzt du schon da?«
    »Seit einer halben Stunde vielleicht.«
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«

    »Du sahst so friedlich aus.«
    Friedlich? Ich? Kann nicht sein. Ich bin der Unfrieden in Person. Arthur weiß das doch am besten. Er hat sich sein Holzfällerhemd über ein weißes T-Shirt angezogen, seine Haare sind frisch gewaschen und noch ein bisschen feucht. Dafür ist sein Bart verschwunden und seine grünen Augen stechen aus seinem gebräunten Gesicht hervor. Nur dort, wo der Bart war, ist die Haut etwas heller. Seine Hände liegen in seinem Schoß, die Finger drehen nervös an dem schmalen silbernen Ring herum, den ich ihm letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt habe. Auf der Innenseite sind sein und mein Name eingraviert, zum Zeichen unserer Verbundenheit.
    Er holt tief Luft. »Ich fahre.«
    Darauf reagiere ich gar nicht. Erst mal setze ich mich etwas auf, wobei ich mir im Rücken das Kopfkissen zurechtstopfe. »Wie bist du reingekommen?«
    »Dein Vater hat mir die Tür aufgemacht.«
    »Der ist noch hier? Ich hab gar nicht gehört, dass du geklingelt hast.«
    »Hab ich auch nicht. Er kam gerade raus, um den Müll rauszubringen.«
    Typisch Papa. »Wie spät ist es?«
    »Elf.«
    Ich rechne im Kopf zusammen, wie viele Stunden ich geschlafen habe. Elf Stunden. Mir kommt es vor, als hätte ich hundert Jahre geschlafen und meine Gefühle und Empfindungen im Traumland zurückgelassen. Ich fühle nichts bei dem Gedanken, dass Arthur jetzt fährt. Was heißt das überhaupt? Dass er gleich nicht mehr auf meiner Bettkante sitzt?
    Zögernd streicht er mit der Hand über meinen nackten
Arm, über die vielen Sommersprossen dieses Sommers. Dabei sieht er seiner kräftigen Hand zu, wie sie hinaufund hinuntergleitet, und meine Haut wird wärmer. Er murmelt, wobei ihm seine dunklen Haare in die Stirn fallen: »Es ist aus, nicht wahr?«
    Obwohl ich genau weiß, was er meint, frage ich zur Sicherheit lieber noch einmal nach: »Was meinst du damit?«
    Arthur hört auf zu streicheln, nimmt seine Hand zurück und zieht langsam den silbernen Ring von seinem Finger ab. Endlich sieht er mich wieder an und verschiebt Oberund Unterkiefer gegeneinander, so, als wolle er sich bloß nicht durch seine Mimik verraten. »Du hast aufgegeben. Richtig?«
    Das klingt ja so, als sei es meine Schuld, dass wir uns voneinander entfernt haben. »Aufgegeben? Was meinst du damit?«
    »Du willst nicht mehr mit mir zusammen sein, weil es dir nicht reicht, so wie ich mit dir zusammen sein will. Ich dachte, unsere Liebe kann tragen, was wir beide wollen. Ich dachte, sie führt uns, egal, wohin jeder von uns geht, immer wieder zusammen. Aber das tut sie nicht.«
    Weil ich weiß, dass Arthur recht hat, zucke ich mit den Schultern und merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen. Endlich sind meine Empfindungen bei mir angekommen. Und zwar mit voller Wucht. Wie eine unterirdische Quelle schießen sie hervor und überschwemmen mich von innen, hinauf bis zu meinen Augen. Mein Mund ist trocken, ich schlucke. Und weine. Mir fällt alles wieder ein. Wer Arthur und ich waren, wie wir zusammengekommen sind, wie ich nachts hinter ihm auf seinem Moped saß und wir durch den Wald fuhren, auf der Suche nach Cotsch. Ich erinnere mich, wie wir auf
seiner Matratze gesessen, geraucht und uns geküsst haben. Ich sehe Arthur vor mir, drei Jahre jünger, still und schmal, in seinem geringelten T-Shirt. Ich erinnere mich, wie er mich voller Vertrauen anlächelte, jedes Mal, wenn wir uns begegneten. Ich weiß noch, wie er mich zum ersten Mal berührte, wie er mir sanft meinen Namen ins Ohr flüsterte. Ich sehe ihn vor mir, wie er aus Afrika wieder kommt, wie wir zum ersten Mal miteinander schlafen und unser Glück nicht fassen können. Ich erinnere mich an all die zärtlichen Sommerabende. Ich will ihn nicht hergeben. Meinen Arthur. Ich will ihn anfassen, küssen, er ist doch mein Arthur! Seine Lippen, seine Hände, seine Brust. Nur ist er viel schneller erwachsen geworden als ich. Ich kenne ihn doch, ich weiß doch alles über ihn! Nie wollte ich ihn hergeben, er ist nur immer wieder gegangen. Das halte ich nicht aus. Für solche Beziehungen bin ich nicht geschaffen. Den Menschen, den ich liebe, will ich um mich haben.
    Ich setze mich auf, krabble dicht zu
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