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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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mich! Bitte halt mich!«
    »Ich halte dich doch.« Johannes flüstert in mein krauses Haar und seine Lippen berühren meinen Kopf, ich fühle seinen warmen Atem. Seine Arme ziehen sich noch enger um meinen Oberkörper, seine Beine legen sich noch fester um meine. Wie ein Kind liege ich geborgen in seinem Schoß. Mein Gesicht reibt über seine Brust. Darunter fühle ich sein Herz schlagen. So möchte ich ewig bleiben. Hier am Ufer und weinen.
    Inzwischen ist die Dunkelheit über uns, den Fluss und das Wäldchen hereingebrochen, und wir kauern noch immer im Efeu und halten uns. Johannes hat seinen Parka fest um mich gezogen, nur von unten wird es langsam kühler und feucht. Jetzt bin ich es sogar, die sich vorsichtig aus der Umarmung befreit, die Tränen sind auf meinen Wangen getrocknet, die Haut fühlt sich gespannt an. Mein linker Oberschenkel ist eingeschlafen und kribbelt schmerzhaft. Plötzlich möchte ich ganz schnell weg von hier und niemals wiederkehren. Nur weg. Mit einem Mal habe ich Angst, furchtbare Angst, Alina könnte als Geist, als Untote aus den Fluten zu uns heraufsteigen. Ich sage: »Ich will weg.«
    »Okay, dann komm.« Johannes erhebt sich, zappelt
mit den Beinen und streckt sich. Dann reicht er mir die Hände und zieht mich nach oben.
    »Autsch!«
    »Was ist?« Er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht und sieht mich durchdringend, aber liebevoll an.
    »Mein Bein ist eingeschlafen.«
    »Wenn wir laufen, wird es gleich besser.« Er nimmt mich bei der Hand und zieht mich mit sich in das Wäldchen hinein. So gut ich kann, humple ich hinter ihm her und lasse mich vertrauensvoll führen, an den Baumstämmen und Büschen vorbei, zurück auf die andere Seite. Nur noch weg. Es ist, als würden wir von Alinas dunklem Schatten verfolgt werden, als würde er zwischen den Baumstämmen hin und her huschen und mir die kalte Hand auf die Schulter legen. Gleich. Gleich. Gut, dass Johannes hier ist. Auf ihn konzentriere ich mich. Weiter hinten steht der Mond über den entfernten Baumwipfeln. Unter unseren Füßen brechen die Äste, knistert das trockene Gestrüpp. Nur weg. Alles hinter mir lassen. Nach vorne sehen, zu Johannes.
    Ich flüstere: »Ich liebe dich.« So leise, dass er mich nicht hört.

14
    A ls Johannes und ich aus dem Park herauskommen und die Straße, die sich einmal rund um die Siedlung legt, hinuntergehen, ist es kurz vor elf Uhr. Die Straßenlaternen sirren im gelblichen Schein. Hinter den meisten Fenstern der Reihenhäuser flimmert gedämpftes Licht. Aus manchen Gärten dringen Gesprächsfetzen und der Geruch von Grillkohle. Noch ist die Luft angenehm warm, obwohl es im Laufe des Tages immer wieder geregnet hat. Unter meinem Kapuzenpulli läuft mir der Schweiß an der Wirbelsäule herunter, meine Jeans klebt mir feucht und schlammig an den Beinen fest.
    Johannes zieht sich seinen Parka aus und hängt ihn über den Lenker meines Fahrrades, das er mit der rechten Hand schiebt. Sein linker Arm liegt über meiner Schulter. Je näher wir unserer Häuserreihe kommen, desto schwerer sinkt sein Arm herunter. Seine Hand streift über meinen Rücken und den schlammigen Po. Schließlich steckt er seine Hand in die Hosentasche und murmelt: »Ich geh mal besser zurück und hole mein Rad. Ich hab keine Lust, Arthur zu begegnen.«
    Ich gehe weiter, so, als hätte ich nichts gehört, in der Hoffnung, dass Johannes mich doch noch bis zur Haustür begleitet. Auch, wenn es blöd wäre, Arthur zu begegnen, aber gerade ist mir sogar das egal. Ich will es laufen lassen, sehen, was passiert.

    Johannes sagt auch nichts mehr, und so biegen wir tatsächlich gemeinsam in unseren Weg ein, an den Vorgärten vorbei, und trauen unseren Augen nun endgültig nicht mehr. Vor unserer Haustür steht ein Polizeiwagen mit lautlos rotierendem Blaulicht, alle vier Autotüren abgespreizt, wie die Flügel eines Käfers, der bereit zum Abflug ist.
    »Ich erreiche sie nicht. Ihr Handy ist immer noch abgeschaltet.« Meine Mutter springt in ihrem Sommerkleid im Licht des Eingangs herum. Ihre Stimme zittert wie in guten alten Zeiten: »Was ist? Suchen Sie jetzt nach meinem Kind? Oder wollen Sie hier nur die Personalien aufnehmen?«
    Nun kommt auch noch Samuel in seinem riesigen Kapuzensweatshirt aus dem Haus gelaufen. Er schiebt sich die Ärmel hoch und brüllt los: »Was ist? Muss erst was passieren, damit ihr euch auf die Socken macht? Vor ein paar Tagen hat sich die beste Freundin ihrer Tochter umgebracht und jetzt ist die auch noch
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