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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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und ich gehe raus, an den summenden Rosen vorbei. Da steige ich auf mein Rad, das ich vor dem Haus geparkt habe, und fahre auf dem nassen Fahrradsattel sitzend davon. Ich komme viel zu spät. Vermutlich ist Johannes schon längst wieder weg. Vorausgesetzt, er ist überhaupt gekommen.
    Ich höre, wie Arthur mir verstört nachruft: »Lelle! Bitte!«
    Doch ich bin weg.

13
    A ls ich außer Atem beim Reiterdenkmal ankomme, sehe ich Johannes, halb verdeckt von den dichten Büschen, auf der Bank sitzen. Seine Ellenbogen hat er auf die Knie gestützt, sein langer, hellblonder Pony hängt ihm vors Gesicht. Er raucht. Dabei ist sein Blick auf das verdorrte Grasbüschel zwischen seinen Chucks gerichtet. Schnell springe ich vom Rad ab und lehne es gegen einen Baum. Als Johannes hört, wie ich durch das hohe Gras komme, sieht er auf und lehnt sich nach hinten, wobei er seine Arme rechts und links auf die Lehne der Bank legt und mir abwartend entgegenblickt. Er hat dunkle Ringe unter den Augen und seine Knie zittern nervös.
    Kurz hebe ich die Hand zum Gruß. »Hey.«
    »Hey.«
    Dicht neben ihm lasse ich mich auf die Bank fallen, gebe ihm einen flüchtigen Kuss auf die schmale Wange - und automatisch liegt mein Kopf an seiner Schulter. Ich rieche den Geruch seines merkwürdigen Duschgels, bei dem ich mich jedes Mal frage, wo es das zu kaufen gibt. Irgendwie riecht es nach Zitrone und nach frisch gesägtem Holz, jedenfalls sehr natürlich. Sowieso ist Johannes - ich weiß nicht, ob ich es schon mal erwähnt habe - ein ziemlich naturverbundener Typ, der gerne lange Spaziergänge oder Wanderungen unternimmt. So naturverbunden wäre ich auch gerne, hätte ich nicht solche Panik vor
Wildschweinen und Insekten. Aber ich liebe die Natur. Und ich mag Johannes, und am liebsten möchte ich mich augenblicklich in ihm verkriechen. Obwohl die Sonne so schön scheint, hat er sich ein Halstuch umgebunden und seinen grünen Armee-Parka an. Genau von diesem Parka möchte ich jetzt von der Außenwelt abgeschirmt werden, wie von einem Zelt. Johannes soll seine Arme um mich schlingen und ruhig in mein Haar atmen, als hätte er den Überblick und könnte mich beschützen.
    Ich schmiege mich enger an ihn und lege meinen Arm über seinen Bauch. Ich murmle: »Tut mir leid, dass ich so spät bin. Wartest du schon lange?«
    »Na ja …« Johannes atmet tief ein, seine Brust hebt sich. »Vielleicht eine Viertelstunde.«
    Ich flüstere in sein T-Shirt: »Wie geht es dir?«
    »Beschissen.«
    »Mir auch.«
    »Ich hab seit einer Woche nicht mehr richtig geschlafen. Dabei bin ich so unendlich müde. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Irgendwie kommt mir plötzlich alles so sinnlos und irreal vor. Als sei das Leben eine einzige Illusion.«
    »Ich weiß genau, was du meinst.«
    »Ganz ehrlich, Lelle? Zum ersten Mal fühle ich mich wirklich verloren. So, als wüsste ich nicht mehr, wohin ich soll. Und überall da, wo ich bin, fühlt es sich nicht richtig an.«
    »Fühlt es sich jetzt auch nicht richtig an?« Johannes zuckt mit den Schultern, und ich sehe zu ihm auf. »Hm?«
    Er seufzt. »Keine Ahnung.«
    »Warum nicht?«
    »Ach, du weißt doch, dass ich eine Freundin habe.«

    »Und? Liebst du sie?«
    Ich sehe über seinen Jackenärmel, hinüber zu den Apfelbäumen, an denen überall kleine rotgrüne Äpfel hängen. Weiter hinten auf dem Weg schlendern eine Mutter und ein Vater hinter ihrer kleinen Tochter auf einem schlingernden Kinderfahrrad mit Stützrädern her. Und plötzlich weiß auch ich nicht, was ich hier soll, weil ich nicht das bekomme, was ich mir von Johannes erhofft hatte: bedingungslose Geborgenheit, Schutz und Stärke. All das, was ich selbst kaum noch in mir fühle. Ich bin mindestens genauso verloren wie er. Ich wünsche mir doch nur, dass mir Johannes sagt, dass er mein Zuhause ist. Aber das kann er wohl nicht. Wegen seiner Freundin oder weil er verwirrt ist. Weil das Leben anders läuft, als wir uns das als Kinder vorgestellt haben. Darum sage ich: »Samuel ist bei uns.«
    »Lass uns bitte nicht darüber reden.« Johannes schüttelt den Kopf und zündet sich eine neue Zigarette an. »Das ist auch so eine Sache, die nicht in meinen Kopf will. Ich meine, wo bitte soll diese Geschichte hinführen? Er ist ganze 25 Jahre jünger als deine Mutter, steht auf Hip-Hop und wirft Bierdosen auf vorbeifahrende Autos.«
    »Ich glaube, meine Mutter hat sich gerade vorhin von ihm getrennt. Aber mal ganz davon abgesehen ist Helmuth ja auch fast 30
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