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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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Name auf. Das nenne ich gekonntes Timing! Wir wissen ja: Wenn ich jetzt nicht drangehe, erwische ich ihn drei Tage lang nicht. Ich dachte, das Erwachsenenleben ist geordnet, aber mitnichten, liebe Leute. Mitnichten. Es ist unsortierter als die Kindheit und euer Kinderzimmer. Unsortierter als euer Schulkram und eure Gedanken und Gefühle und die ganze Welt. Es ist absurd. Ich gehe ans Handy und gleichzeitig zum Fenster. Da gebe ich Arthur ein Zeichen durch die Scheibe, dass ich ihm gleich aufmache.

    Ins Telefon sage ich: »Hallo?«
    »Hey!« Johannes klingt freundlich, so, als würde er sich wirklich freuen, mit mir zu sprechen. »Du hast angerufen! Wie geht es dir?«
    »Geht so. Sag mal, kann ich dich in einer halben Stunde zurückrufen?«
    »Klar.«
    »Gehst du dann auch dran?«
    »Klar.«
    »Gar nicht klar. Ich muss dringend mit dir sprechen - oder wollen wir uns sehen?«
    »Gerne. Ich komm vorbei. So in einer halben Stunde, in Ordnung?«
    »Okay. Lass uns aber lieber in einer Dreiviertelstunde beim Reiterdenkmal treffen.«
    Ich lege auf, gehe raus in den Flur und öffne Arthur die Tür. Hat Johannes jetzt eigentlich gesagt, ob es ihm passt? Ich glaube, ich habe vorher aufgelegt. Mist. Habe ich wenigstens »Reiterdenkmal« gesagt oder es nur leise gedacht? Wenn ich eins üben muss, dann Konzentration. Das stresst mich jetzt schon wieder. Na ja. In jedem Fall will ich nicht in Richtung Wohnzimmer und Garten sehen. Ich will gar nicht wissen, was meine Mutter und Samuel da auf dem Rasen oder auf den Sofas veranstalten. Hinterher heult Samuel, weil meine Mutter nicht mehr zur Verfügung steht. Neulich haben sie noch auf einer Decke unter der Akazie übereinandergelegen und sich hemmungslos geküsst. Leute, ich weiß, ich sollte all dem urteilsfrei gegenüberstehen. Aber manche Anblicke sind einfach doch zu heftig.
    Ich lächle angespannt und lasse Arthur rein. Sein Gesicht ist gerötet und seine Augen sind matt und er sieht
erschlagen aus, so, als würde er sich auch wünschen, dass manche Dinge einfacher laufen. Ich schließe die Tür und wir gehen geradewegs in mein Zimmer. Als ich mich auf meine Bettkante setze, erkläre ich trocken: »Nur damit du es weißt: In einer Dreiviertelstunde muss ich weg.«
    Arthur stellt sich ans Fenster und sieht mich von dort aus durchdringend an. Er steht direkt im Sonnenlicht. Wunderschön sieht das aus. Er hat sich sein kariertes Arbeitshemd an den Ärmeln hochgekrempelt, es ist ganz aufgeknöpft, darunter trägt er ein ausgeleiertes T-Shirt, und in seinen Haaren klebt ein wenig weiße Lackfarbe. Seine Augen sind noch grüner als sonst, als hätte er den gesamten Ozean bereits verschluckt. Seine Stimme klingt rau und irgendwie wütend. »Was ist los mit dir? Willst du, dass wir im Streit auseinandergehen? Willst du Probleme machen, wo keine sind? Meinst du, mich nimmt die ganze Sache nicht mit? Meinst du, ich gebe mir keine Schuld, dass ich es nicht geschafft habe, Alina zu retten? Nacht für Nacht wiederholt sich alles in meinen Träumen, wie ich sie durch den Fluss und ans Ufer schleppe und sie sich einfach nicht mehr rührt. Denkst du eigentlich immer nur an dich, Lelle?«
    »Hä?«
    »Fragst du dich eigentlich manchmal, wie es mir geht?«
    »Wieso sollte ich? Du machst doch sowieso, was du willst. Wenn du zu diesem großen schwimmenden Müllberg mit einem Plastikflaschenboot segeln willst, dann machst du das. Egal, ob das total bekloppt und lebensmüde ist oder nicht. Wenn du hier in der Gegend Tümpelproben nehmen willst, um irgendwelchen Chemiekonzernen Grundwasservergiftung nachzuweisen, dann machst du das. Und wenn dich die Leute deswegen durchs Fenster
mit Steinen beschmeißen, dann ist das auch okay für dich. Du freust dich sogar darüber, weil du dich bestätigt fühlst. Komisch! Echt!«
    »Das stimmt doch gar nicht!«
    »Nein? Vorhin hatte ich sogar kurz mal das Gefühl, dass du eigentlich damit gerechnet hättest, dass sie dir gleich eine Handgranate oder so was durch die Scheibe schleudern. Wahrscheinlich wärst du da richtig vor Freude ausgeflippt: ›Klasse, sie beschmeißen mich mit Handgranaten!‹«
    »So ein Quatsch!«
    »Damit magst du vielleicht leben wollen, aber ich nicht. Fragst du dich denn manchmal, wie es mir geht? Hast du dich mal gefragt, ob ich nicht vielleicht lieber einen normalen Freund will, der sich um mich kümmert, wenn mein gesamtes Leben den Bach runtergeht?«
    »Dann such dir einen anderen Freund. Das hast du ja schon mal erfolgreich
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