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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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Jahre älter als meine Schwester. Offenbar ist das jetzt in Mode, sich wesentlich jüngere oder ältere Partner zu suchen.«
    »Partner?« Johannes gibt einen verächtlichen Laut von sich und zieht an seiner Zigarette. »Ich gebe überhaupt nichts mehr auf Beziehungen. Wie kann man sich an einen Menschen binden? Das Leben ist so unberechenbar. Der Mensch ist unberechenbar.«

    »Na ja, gerade darum sollte man sich vielleicht an eine Person binden.«
    »Schon allein das Wort ›binden‹ bedeutet totale Gefangenschaft. Ach, ist mir am Ende auch egal. Sollen doch alle machen, wie sie wollen.«
    »Was willst du denn?«
    »Keine Ahnung. Glücklich sein.«
    »Und was bedeutet das für dich?«
    »Zu wissen, wer ich bin, was ich will und wohin ich gehöre.«
    »Und? Weißt du das nicht?«
    »Doch schon, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich niemals dort ankommen werde.«
    Ich setze mich auf und zünde mir auch eine Zigarette an. Ich weiß genau, was er meint. Dieses Gefühl hatte ich noch nie, doch jetzt ist es da, als würde ich vor einer grenzenlosen Ebene stehen, einer Wüste, über der glühend und sengend die Sonne steht. Nirgends ist Wasser, mit dem ich meinen unsagbaren Durst löschen könnte, und am Horizont flimmert die Luft. Es ist, als müsste ich diese Wüste durchwandern, durstig, allein, ziellos, ohne die Hoffnung, dass ich mir irgendwo da draußen gereift und wissend begegne. Vermutlich werde ich bis zum bitteren Ende durch mein Leben taumeln, auf der hoffnungslosen Suche nach Heimat, nach Sicherheit, nach innerem Frieden. Nach mir. Dabei will ich fröhlich sein. Wirklich. Mit aller Macht will ich fröhlich sein.
    Ich lehne mich zurück, Johannes’ Arm liegt auf meiner Schulter. Obwohl wir uns schon so lange kennen, sind wir uns gerade wirklich fremd. Ich räuspere mich. »Was ist mit deiner Freundin? Ich meine, willst du mit ihr zusammenbleiben? Ein Leben lang?«

    »Keine Ahnung. Sie ist nett.«
    »Ist das alles?«
    »Lelle, hör auf damit. Du weißt genau, was ich immer für dich empfunden habe. Und du weißt auch, dass es schwierig ist, noch mal ein Mädchen wie dich zu finden. Also frag nicht.«
    »Okay, tut mir leid.«
    Stumm sehen wir hinüber zum Fluss, auf der anderen Seite des Ufers stehen die Angler in ihren hohen Anglerstiefeln auf der Kuhweide und holen mit ihren Ruten aus. Ein Stück weiter, hinter der Flussbiegung, ist es geschehen, und ich frage mich, ob im schlammigen Ufermorast noch Alinas Körperabdruck zu sehen ist.
    Mit einem Satz springe ich auf. »Ich muss noch mal da hin.«
    Johannes tritt seine Zigarettenstummel aus. »Wohin?«
    Seine Stimme zittert und daran ist zu hören, dass er genau weiß, was ich vorhabe.
    Mit dem Kopf mache ich eine leichte Bewegung in Richtung des Wäldchens, das mir plötzlich wie das Tor zu einer anderen, düsteren Welt vorkommt. Langsam legt sich die Dämmerung über die Felder, wie an dem schrecklichen Abend vor ein paar Tagen. Orangerot steigt das Abendrot hinter der Wölbung der Erde hervor, irgendwo hämmert ein Specht. Ich murmle: »Runter, zum Fluss.«
    Johannes sieht mich benommen an, seine Augen haben in diesem rötlichen Licht eine fast violette Färbung angenommen. »Warum?«
    Ich zucke angespannt mit den Schultern, weil ich es nicht weiß. Es ist nur so ein Gefühl, etwas zieht mich dorthin zurück. Fast so, als würde ich hoffen, Alina dort
lebendig, auf dem Baumstumpf sitzend, anzutreffen. Was mich zugegebenermaßen mehr als alles andere erschrecken würde. Bleich, mit ihren schwarz gefärbten, hochgestellten Haaren, in ihren engen schwarzen Röhrenjeans und ihren Totenkopf-Vans. Dann könnte ich sie fragen, warum sie uns das angetan hat? Dann könnte ich ihr sagen, dass es gemein ist, sich umzubringen. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. »Kommst du mit?«
    Ich reiche Johannes die Hand, weil ich keine Zeit verlieren will. Ich möchte nicht dort herumgeistern, wenn es dunkel ist, ich fürchte mich jetzt schon. Johannes greift nach meiner Hand. Seine ist warm und groß, und könnte er mich damit doch nur so umfassen, dass ich darin verschwinde. Gibt es denn keinen Menschen, der mich halten kann? Vermutlich muss ich es schaffen, mich selber zu halten. Denn ich bin immer bei mir. Ich. Darüber sollte ich glücklich sein. Denn ich liebe mich. Das weiß ich ganz plötzlich. Ich flüstere in mich hinein: »Ich liebe mich.«
    Wir gehen Hand in Hand in das Wäldchen hinein, und dennoch tut es gut, dass Johannes’ Hand so viel größer ist als
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