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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe
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dachte er, betrat das Haus und näherte sich der Kammer neben der Küche. Wegen ihr.
    Sie lag anders da als vor ein paar Stunden, stellte er im Morgengrauen fest. Sie lag schräg im Bett, schlief tief und entspannt wie ein Kind. Eine der beiden Steppdecken war auf den Fußboden gerutscht.
    Sein Blick glitt durchs Zimmer. Die Schüssel und der Krug auf dem Waschtisch waren unberührt. Er trat einen Schritt vor, um besser sehen zu können.
    Ein nackter Fuß, zart wie der einer Porzellanpuppe, lugte unter den Decken hervor. An der Fußsohle klebten nasse Tannennadeln.
    Jesse richtete sich so hastig auf, dass er mit dem Kopf gegen einen niedrigen Holzbalken stieß. Er fluchte leise. Der Gedanke, dass diese fremde Person in seinem Haus herumschnüffelte, behagte ihm nicht. Es passte ihm nicht, dass sie in seine kleine Welt eindrang, die er sich erschaffen hatte, dass sie sich ein Urteil über ihn bildete.
    Er wischte den Gedanken beiseite. Die Frau war krank. Wieso sollte sie an ihm interessiert sein? Vermutlich war sie orientierungslos und benommen herumgeirrt auf der Suche nach ihrem Ehemann, den sie bei dem Schiffsunglück verloren hatte.
    Wieso sollte sie sich für einen Leuchtturmwärter interessieren? Sie hatte keinen Grund, in seinem Leben herumzuschnüffeln. Sobald sie gesund wäre, würde sie zu ihrer Familie zurückgehen.
    Jesse blieb noch einen Moment. Das zunehmende Morgenlicht erhellte die Kammer. Er sollte gehen, sie in Ruhe lassen, rührte sich aber nicht von der Stelle, gebannt in einer unerklärlichen Faszination.
    Fiona hatte die Situation für so selbstverständlich genommen. Wieso begriff sie nicht, wie ungewöhnlich das alles war? Weshalb fehlte ihr jedes Verständnis für seine Ablehnung, diese Frau kennen zu lernen?
    Die zarte Schönheit dieser Fremden war ein glatter Hohn. Eine Prüfung. Ein boshaftes Schicksal wollte ihn auf die Probe stellen, ob er willensstark genug war, um einem engelsgleichen
    Gesicht, einem Körper, verlockend wie eine reife Frucht, zu widerstehen.
    „Verdammt", knurrte er in die Stille. „Wieso sieht sie nicht aus wie eine alte Hexe?"
    Seltsamerweise würde das kaum etwas an der Situation ändern. Wenn sie ein Froschgesicht oder drei Arme hätte, würde er nicht anders empfinden. Auch dann wäre er von dem Geheimnis, das sie umgab, fasziniert. Ihre Schönheit war nur das Tüpfelchen auf dem i dieser ironischen Schicksalswende.
    Die ersten Sonnenstrahlen stahlen sich durchs Fenster. Sie seufzte im Schlaf, drehte sich auf die andere Seite, zog die Knie an und legte einen Arm schützend über ihren gewölbten Leib.
    Sie war im fünften Monat schwanger, hatte Fiona gesagt. Das Baby machte sich bemerkbar, und die Mutter würde die winzigen Stöße von Armen und Beinen spüren. Fiona hatte ihm das mit einem seligen Lächeln verkündet, als erwarte sie, er würde sich darüber freuen.
    Eine lange Haarsträhne fiel der Schlafenden ins Gesicht. Jesse konnte den Blick nicht wenden. Ein Strahlenbündel der Morgensonne verlieh ihrem Haar einen rubinroten Glanz. Er beugte sich vor und strich ihr das Haar nach hinten. Die Berührung der seidig weichen Locke traf ihn so unerwartet, dass ihm der Atem stockte.
    Hastig richtete er sich auf und trat einen Schritt zurück. Er hatte sie berührt. Sie war eine Fremde. Die Frau eines anderen. Oder eine Witwe. Jesse Morgan hatte kein Recht, sie zu berühren.
    Er verließ die Kammer, schloss die Tür bis auf einen winzigen Spalt, um zu hören, wenn sie das Bett verließ. In seinem Zimmer schleuderte er die Stiefel von sich und sank mit einem tiefen Stöhnen aufs Bett.
    Aber er konnte nicht schlafen, die Gegenwart der fremden Frau irritierte ihn. Es war eine Verheißung, die nicht für ihn bestimmt war.
     
    „Wie schön, Sie wieder einmal zu sehen, Mr. Jones", grüßte der livrierte Portier mit einer unterwürfigen Verbeugung.
    Granger erwiderte den Gruß mit einem knappen Nicken. Der lächelnde Portier ließ sich den falschen Namen auf der Zunge zergehen und zwinkerte Mr. Jones vertraulich zu.
    Doch Granger war schlecht gelaunt und hatte wenig Sinn für Vertraulichkeiten. Am Montagmorgen, beim Betreten seines Kontors in San Francisco, hatte er erfahren, dass eines seiner Schiffe nicht im Hafen von Portland eingelaufen war. Am Dienstag entschlossen die leitenden Direktoren sich, die Versicherungsgesellschaft davon zu unterrichten, dass der Viermaster mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Sandbank in der Mündung des Columbia Rivers aufgelaufen
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