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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe
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die Tür. Jedes Mal beim Betreten der Diele trat er auf die einzige knarrende Stelle im Parkett. Diesmal knarrte sie besonders laut in der stillen Wohnung. „Ich bin es", rief er. „Ich habe dir etwas mitgebracht."
    Stille. Vielleicht schlief sie. Frauen in anderen Umständen brauchten viel Schlaf. Doch das sorgfältig gemachte Bett war leer.
    Eine kalte Ahnung beschlich ihn, dennoch bewahrte er Ruhe. Methodisch durchsuchte er jeden Winkel der eleganten Wohnung. Nichts fehlte - keine Silbergabel, kein Kleid, keines der Schmuckstücke, die er ihr geschenkt hatte. Nur eines fehlte: die Frau.
    Er zwang sich zur Ruhe und wartete. Vermutlich war sie ausgegangen, machte einen Spaziergang, einen Einkaufsbummel. Ja, so musste es sein. Doch später, nachdem er den Portier befragt und erfahren hatte, dass sie eine Woche zuvor aus dem Haus gegangen war und seither nicht mehr gesehen worden war, musste er sich eingestehen, dass sie ihn verlassen hatte.
    Verwundert blickte er auf den Rosenstrauß, den er noch immer in der Hand hielt, ohne es zu bemerken. Und dann zerdrückte er jede einzelne Rose bis zur Unkenntlichkeit, ohne auf die Dornen zu achten, die ihm die Finger blutig stachen.
     
    Jesse starrte in die Holzbalken und horchte auf das Ticken der Wanduhr. Nach langer Zeit zog er seine Stiefel wieder an und verließ das Haus, um die Pferde zu versorgen.
    Auf dem Weg zum Stall begegnete er Erik. Der hünenhafte
    Bursche, der durch nichts zu erschüttern war, stapfte auf kraftvollen Beinen gemächlich durchs Gras. Der Wind wehte ihm sein strohfarbenes Haar ins Gesicht.
    „Guten Morgen, Captain", rief Erik herüber, der es sich nicht nehmen ließ, Jesse mit seinem offiziellen Titel eines Oberleuchtturmwärters anzureden. „Ist die Dame aus dem Meer schon aufgewacht?"
    „Nein."
    „Vater meint, heute kalfatern wir das Boot." Eriks Gedanken sprangen unvermittelt zum nächsten Thema. Jesse mochte den aufgeschossenen, kräftigen Burschen, wusste aber nie so recht, was er mit ihm reden sollte.
    „Gut so, Erik", sagte er. „Es ist sehr wichtig, das Boot einsatzbereit zu halten."
    „Sie fahren nie mit dem Boot hinaus", meinte Erik und stemmte die Hände in die Hüften. „Warum fahren Sie nie hinaus?
    Weil ich ein Feigling bin, dachte Jesse.
    „Warum eigentlich, Captain?" bohrte Erik weiter.
    „Rettungsboote sind nicht für Vergnügungsfahrten da", antwortete Jesse im Weitergehen. „Ich bin im Stall."
    Er brachte die vier Pferde auf die Weide. Das Krähen von Palinas Hahn klang gedämpft durch den Morgennebel.
    Jesse ging den steilen Serpentinenpfad zum Strand hinunter. Vor vierundzwanzig Stunden war er diesen Pfad nach oben gehastet, mit einer ungewöhnlichen und unerwünschten Last in den Armen. Jahrelang hatte er sich erfolgreich alle Menschen vom Leib gehalten, aber diese rothaarige Fremde konnte er nicht loswerden.
    Wieso wehrte er sich so verbissen dagegen, ihr zu helfen?
    Aus diesem Grund war er doch hier - um Schiffbrüchige zu retten, um die Schiffe durch die gefährlichen Untiefen und tückischen Strömungen der Mündung des Columbia Rivers zu lotsen. Es war genau das Leben, das er sich ausgesucht hatte, um Buße zu tun.
    Er ließ den Felsenpfad hinter sich und stapfte durch den nassen, schweren Sand. Dabei spähte er den Küstenstreifen bis zum Horizont entlang, auf der Suche nach weiteren Wrackteilen des gesunkenen Schiffes. Vereinzelt lagen angeschwemmte Klumpen Seetang herum und hin und wieder silbergrau gebleichtes, bizarr geformtes Treibholz. Der Morgenwind rauschte im Schilf der Dünen.
    Von der Sandbank in der Mitte der breiten Flussmündung drang das heisere Bellen der Seehunde herüber. Wenn sie sich an seinem Küstenstreifen niederließen, verscheuchte Jesse sie. Die Fischer machten Jagd auf die Seehunde, die ihnen die Lachse wegfraßen.
    Jesse atmete tief durch, füllte seine Lungen mit der würzigen Salzluft und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, und konnte nicht aufhören, an sie zu denken, an die anmutige junge Frau, die in sein Leben eingedrungen war. Gesellschaft war das Letzte, was er brauchte. Niemand schien das wirklich zu begreifen. Den Leuten von Ilwaco gab ihr Auftauchen Anlass zu sensationslüsternen Spekulationen. Palina nannte sie ein Geschenk der Götter. Und Fiona nannte sie eine Herausforderung, eine Aufgabe.
    Er versuchte sich einzureden, dass sie sich in nichts von anderen Frauen unterschied. Er war gegen weibliche Verlockungen gefeit, Frauen ließen ihn kalt, weckten kein
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