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Eine Art von Zorn

Eine Art von Zorn

Titel: Eine Art von Zorn
Autoren: Ambler
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Erstes Kapitel
I
    World Reporter , das amerikanische Wochenmagazin, geht Freitag, nachts elf Uhr, in Druck. Außer für die Korrektoren gibt es dann nicht mehr viel zu tun, aber die Atmosphäre in den Büros der New Yorker Redaktion bleibt gespannt.
    Das ist verständlich. Die Fehler einer Tageszeitung sind schnell berichtigt oder vergessen. Wird aber ein Wochenmagazin, noch dazu eines, das kein Blatt vor den Mund nimmt und gerne den Propheten spielt wie World Reporter , von den Ereignissen überrannt, so steht es tagelang blamiert da. Dies war der Fall gewesen in jener unseligen Woche, als ein General aus dem Fernen Osten am Freitag als › Asiens neuer starker Mann‹ gepriesen wurde. Am Montag, gerade als das Blatt die Zeitungsstände erreichte, war er von einem unbewaffneten Studentenhaufen gefangengenommen und aufgehängt worden. Zum Glück kommt dergleichen selten vor. Die Redakteure sind tüchtig, vorsichtig und gut informiert. Es wird alles unternommen, damit nichts schiefgehen kann: Die Fernschreiber stehen unter ständiger Kontrolle. Überall auf der Welt, in einem Dutzend verschiedener Zeitzonen, sind die Auslandsredakteure auf dem Posten und überwachen die regionalen Pressenachrichten und Radiomeldungen. Private Leitungen und Fernschreiber verbinden die Chefredaktion mit den Druckereien in Philadelphia und Chicago. Elektronische Setzmaschinen sind installiert worden. Artikel können umgeändert, Knüller zurückgezogen oder entschärft auf der letzten Seite gebracht werden. Hintertüren stehen offen, und die Titelseiten werden erst im allerletzten Moment festgelegt. Wenn die Atmosphäre auch gespannt ist, so herrscht doch Zuversicht.
    Dies gilt für New York. In den Auslandsredaktionen herrscht während der Freitagnachtwache Angst. Sie hat nichts zu tun mit dem Redaktionsschluß und der Arbeit, sondern mit dem Herausgeber, Mr. Cust.
    In der Regel gehen die Chefredakteure am Freitag abend gegen 9 Uhr zum Nachtessen ins Restaurant im Erdgeschoß des Redaktionsgebäudes. Sie sind mit sich und ihrer Arbeit zufrieden. Nicht so Mr. Cust, der Hauptaktionär und Herausgeber des Magazins. Er ist niemandem Rechenschaft schuldig, und wenn nicht ein außergewöhnliches Ereignis eintritt, hat er bis zur Redaktionskonferenz für die nächste Ausgabe am Montag nachmittag nichts mehr zu tun, nichts mehr zu entscheiden. Es wäre allen gedient, wenn er ins Penthouse hinaufführe, um seiner Frau und ihren Gästen beim Abendessen und beim Bridge Gesellschaft zu leisten. Er weiß das, und er weiß auch, daß er sich in einer beneidenswerten Situation befindet, die er sich selber verdankt. Dennoch ärgert er sich. Er fährt also nicht in seine Dachwohnung hinauf, sondern bleibt in seinem Büro, schickt um Lachsbrötchen und eine Flasche Blanc-de-Blanc und beginnt dann mit Hilfe seines Privatordners und unterstützt durch das Fräulein vom Fernamt, sein Selbstbewußtsein zu stärken, indem er die Auslandsredaktionen verwirrt.
    Nur zu diesen Abendstunden setzt er sich mit einem Büro persönlich in Verbindung, und er hat die Opfer, zwei bis drei in der Regel, sehr sorgfältig ausgewählt. Ihnen gibt er Hinweise, die aber schon Winke mit dem Zaunpfahl sind.
    Diesen Hinweisen widmet er viel Zeit und Überlegung. Damit ein Hinweis seinen Zweck erfüllt, muß er drei Eigenschaften haben: Er muß den betreffenden Redakteur überrumpeln; es muß so aussehen, als basiere er auf einer Insideinformation, die nur die Geschicklichkeit Mr. Custs ergattern konnte; drittens muß er den Redakteur so verwirren, daß er entrüstet Einwände vorbringt, auf die Mr. Cust aber gar nicht eingeht. Mit andern Worten: Alle Hinweise sind exzentrisch, unvernünftig, ja pervers.
    Es heißt, daß Mr. Cust an einer Durchblutungsstörung des Gehirns leide und daß er immer seniler werde. Das mag durchaus stimmen. Kein Herausgeber, der halbwegs bei Verstand ist, würde einen Redakteur mit einem so dummen und boshaften Vorschlag belästigen wie Mr. Cust das bei der Affäre Arbil gemacht hat.
II
    Ich war bei Sy Logan, dem Pariser Redakteur, als das Telefon läutete. Es war ein kalter Samstagmorgen, 3.15 Uhr Westeuropäischer Zeit.
    Das Gespräch begann wie immer, indem sich Mr. Cust höflich nach dem Befinden des Redakteurs und seiner Familie erkundigte. Sy antwortete kurz, schaltete das Tonbandgerät ein und bedeutete mir, am Nebenanschluß seiner Sekretärin mitzuhören.
    Mr. Custs Stimme ist laut und undeutlich zugleich und tönt wie ein schadhafter
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