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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe
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Muscheln.
    Er holte ächzend Atem, arbeitete verbissen weiter, mit zitternden Fingern und dröhnendem Herzschlag.
    Ein schlankes Bein. Nein, mager. Mager und voller Sommersprossen, die sich dunkel gegen leblose, fahle Haut abhoben.
    Jesse stieß einen Schwall Gotteslästerungen zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Früher hatte er mit Gott gesprochen. Nun verfluchte er ihn und die Welt.
    Jede Sekunde des Grauens stand für sich, kristallisiert in einem Wissen, dem er seit Jahren zu entfliehen suchte. Er hatte sich bis ans Ende der Welt zurückgezogen, um der Vergangenheit zu entfliehen.
    Er konnte ihr nicht entkommen. Er konnte nicht verhindern, daran zu denken. Er konnte nicht vergessen, was die See ihm geraubt hatte.
    Und er wusste, was die See ihm heute vor die Füße gespült hatte. Eine Frau, wie konnte es anders sein. Das war der eisige Gipfel grausamer Ironie.
    Er arbeitete sich unbeirrt weiter nach oben, legte das Gesicht frei. Und wünschte, er hätte es nicht getan. Denn als er sie sah, wusste er, warum es ihn so machtvoll zur Eile gedrängt hatte.
    An diesem Morgen war ein Engel an seinem Strand gestorben. Ihr Heiligenschein bestand aus glitschigem Tang, der sich in ihren roten Haarsträhnen verfangen hatte, und ihr Engelsgesicht war mit Sommersprossen übersät.
    Dieses bleiche Gesicht mit dem vollen Schwung lavendelblauer Lippen war von einem Bildhauer geschaffen worden, dem es gelungen war, Marmor in Poesie zu verwandeln. Ein Frauengesicht, wie es nur Träumer erblicken, die an Wunder glauben.
    Aber sie war tot, heimgekehrt ins Reich der Engel, wohin sie gehörte, in ein Reich, das sie besser nie verlassen hätte.
    Jesse sträubte sich dagegen, sie zu berühren, seine Hände aber gehorchten ihm nicht. Er packte sie bei der Schulter, rüttelte sie sanft, drehte den Mast ein wenig, an dem sie festgebunden war. Nun sah er die Gestalt von Kopf bis Fuß.
    Sie war schwanger.
    Zorn durchzuckte ihn wie ein Blitz. Es reichte nicht, dass eine schöne junge Frau ihr Leben lassen musste. Auch das dunkle Geheimnis, das süße keimende Leben in ihrem gewölbten Leib war vernichtet worden. Zwei Lebenslichter waren durch einen unbarmherzigen Sturm erloschen, durch haushohe Brecher einer gnadenlosen See.
    Dies ist der Beginn, dachte Jesse, während er die leblose Gestalt losband und in die Arme nahm, der Beginn einer Reise, vor der ihm graute.
    Die leblose Frau sackte vornüber wie eine Stoffpuppe. Eine kalte Hand krallte sich an Jesses Arm fest. Er wich entsetzt zurück, ließ sie im nassen braunen Sand liegen.
    Sie stöhnte auf, hustete und erbrach Meerwasser.
    Jesse Morgan, der selten lächelte, strahlte übers ganze Gesicht. „Verdammt", knurrte er und riss sich den Gummimantel von den Schultern. „Sie lebt."
    Er legte ihr den gefütterten Mantel um die Schultern und hob sie hoch.
    „Ich bin... am Leben", hauchte sie kaum hörbar. „Ich glaube", fügte sie genauso leise hinzu, und ihr Kopf sank nach vorn, „das ist ein Wunder."
    Mehr sagte sie nicht und fing an, an allen Gliedern zu schlottern. Sie fühlte sich an wie ein Fisch im Todeskampf, und Jesse hatte alle Mühe, sie nicht fallen zu lassen.
    Und während er seine Last den steilen Felspfad hinauftrug, so schnell seine Beine ihn trugen, war ihm mit unumstößlicher Gewissheit klar, dass dieser Tag etwas Neues, etwas Außergewöhnliches, etwas unendlich Faszinierendes und Beängstigendes in sein Leben gebracht hatte.

2. KAPITEL
     
    P anik überflutete ihn in mächtigen, Schwindel erregenden Wellen. Wieso er? Wieso jetzt? Eine Fremde und ihr ungeborenes Kind zu retten war das Letzte, worauf er vorbereitet war.
    Aber er war gezwungen, sie zu retten. Seit zwölf Jahren widmete er als Leuchtturmwärter sein Leben der Überwachung dieser tückischen Gewässer. Ihm blieb keine andere Wahl.
    Mit weit ausholenden Schritten stieg er den gewundenen Pfad zur Warte hinauf, stürmte den flachen Hang auf der anderen Seite des Felsplateaus hinunter zum Waldrand, wo das Haus des Leuchtturmwärters stand. Das Gewicht des beinahe leblosen Körpers zerrte an seinen Armen. Er nahm zwei Holzstufen zur Veranda auf einmal und stieß die Haustür mit der Schulter auf.
    Er trug die Frau in eine Kammer neben der Küche und legte sie aufs Bett. Die jahrelang unbenutzte Matratze mit dem vergilbten Drillichbezug roch muffig. Er kramte in einem hohen Schrank und fand ein paar alte gesteppte Quilts und eine karierte Wolldecke.
    Er deckte die Frau zu, versuchte, ihr Wasser und
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