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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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dich und zieh dich für den Moser-Pastor um!“  
    Ein wenig in seiner Eitelkeit getroffen, da er sich – weiß Gott – kräftig genug fühlte, gehorchte der schmächtige Mann. Als dann wieder und wieder der Ruf nach Erdmann Jansen erschallte, musste Libussa an den Vorhang. Sie ließ ihn unten, bildete dafür aber, die eine Hälfte des schweren Tuchs zu den Kulissen hinziehend, eine Gasse für die Gefeierten, wobei ihr der Schufterle half. Eine solch kameradschaftliche Atmosphäre herrschte eben nur unter Räubern – oder eben Schauspielern!
    Eine Viertelstunde Pause war angesagt, die Saaltüren öffneten sich, damit der eine, kleinere Teil des Publikums ins Freie strömen konnte, die regenfeuchte Luft in trauter Gemeinsamkeit mit den jetzt wieder aufgeregt gackernden Hühnern zu genießen, während der überwiegende Teil – die Durst- und Rauchsüchtigen – zu Onkel Momme wanderten und sich an seinen Tresen drängten, eine Halbe Radeberger zu ordern.
    Kerstin und Ingrid wurden von Michaela Schumann zu einer Brause eingeladen, was sie artig dankend annahmen, weil die feuchtwarme Luft im Saal zum Schneiden war. Michaelas Wangen hatten sich im Lauf der Aufführung belebt und an Farbe gewonnen; dies war der zweite richtige Theaterabend ihres Lebens. Das erste Mal war sie mit Jürgen kurz nach der Hochzeit in der Komischen Oper, in der sie Die lustige Witwe als Gastspiel gegeben hatten. Ein Sprechstück hingegen hatte sie bis heute nicht gesehen. Sie war noch ein wenig verwirrt von den eindrucksvollen Szenen und der Sprache der Aufführung.  
    „Hübsch, nicht wahr?!“ Beide Mädchen nickten verträumt, ja ein wenig benommen; mehr wussten sie als Antwort nicht zu geben, weilten ihre Gedanken doch allzu stark noch im Böhmerwald und beim Spiel ihrer Brüder.  
    „Wunderbar“, sagte auch der große Willi, der überraschend – wenn auch ein wenig verspätet – den Weg von der Bürgerrechtsfront in Leipzig zum Premierendebüt seines Sohnes gefunden hatte, zu seiner Frau, „dass du´s erwähnt hast am Telefon, Janine.“
    Sie gingen eingehakt auf der leeren Saalseite auf und ab, um sich die Beine zu vertreten. Kollege Ludolf Friesel strich sich mit vier Fingern seiner Rechten durchs lichte Haar, wie immer, wenn er angestrengt überlegte. „Merkwürdig, das Stück. Ich hab mir gestern noch ein angestaubtes Reclam-Exemplar aus der Gewerkschaftsbibliothek geholt und gründlich über Nacht durchgelesen; ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, es in der Schulzeit durchgenommen zu haben; es atmet doch allzu gründlich den Geist des Aufruhrs oder Umsturzes, das heißt: In den fünfziger Jahren saß wohl den Genossen da oben das Gespenst der Konterrevolution im Nacken. Dafür haben sie uns mit den Gewehren der Frau Carrar traktiert und uns zum Berliner Ensemble geführt, auch ins Leben des Galilei ; da hat mich als Junge vor allem die Astronomie interessiert, und davon am meisten Ebbe und Flut, die ich dann auch mal mit eigenen Augen sehen wollte, und als ich dann im Spätsommer einundsechzig auch den Bodensee und den Rhein...“  
    „Vergiss mal deine Rede nicht, Ludolf!“ unterbrach der große Willi, seiner Frau verschmitzt zublinzelnd, den Kollegen, der die Stirn in Falten zog und im Überlegen die Lippen zusammenkniff. „Na und? Was hat das mit dem Stück zu tun? Passt dir daran was nicht?“  
    Das Ehepaar Widulle hatte sich nämlich noch am Vortag bei ihrem Telefongespräch in den Haaren gelegen, weil sie unterschiedlicher Meinung darüber waren, ob man das Kollektiv ihres Kombinats in der gegenwärtigen gespannten Situation in die Räuber schicken sollte oder nicht. Der große Willi hatte da seine Bedenken, denn auch er hatte bei Freunden einen Schillerband hervorgeholt, um das Drama eingehend zu studieren. Und jetzt glaubte er, an Kollege Friesels Miene eine Bestätigung seiner eigenen Meinung entnehmen zu können. Ludolf aber blickte ihn nur erstaunt an.  
    „Willi befürchtete halt“, mischte sich Janine erklärend ein, „das Stück könnte bei den Brigaden, die kürzlich noch eigenmächtige Aktionen durchgeführt oder dazu aufgerufen haben, aufreizend wirken!“
    „Ach sooo! Daher weht der Wind“, sagte Ludolf gedehnt; er schien ein wenig belustigt, seine Miene verriet, dass er mit Vergnügen bereit war, sich mit dem großen Willi anzulegen.
    „Du meinst wegen der Szene mit dem Spiegelberg oder dem Leipziger-Karl , wa?“  
    „Sowohl als auch“, erwiderte Willi gefasst; er spürte die
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