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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Herausforderung. Mehr als einmal war es im Verlauf hitziger Debatten auf den Fahrten zur Demo nach Leipzig vorgekommen, so dass Ludolf Friesel ihm vorgehalten hatte, er – Willi – neige zu der bremsenden Politik der Reformer in der SED. „Den Spiegelberg würden sie heute anders nennen, wa?“  
    Schon intervenierte Janine wieder: „Da gibt´s heute zwei schöne neudeutsche Worte für: Terrorist auf der jenseitigen, Konterrevolutionär auf der hiesigen Seite des Eisernen Vorhangs.“
    „...ich wähnete die Welt durch Gräuel zu verschönern, und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht zu halten“, deklamierte Willi.
    „...und erfahre nun mit Zähnklappern und Heulen“, fuhr Janine fort, „dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten würden.“
    Ludolf Friesel nickte kurz. „Wobei hier und heute wohl Einigkeit herrscht zwischen Bühne und Auditorium. Gnade dem Knaben, der dir vorgreifen wollte.“
    „Lenk nicht ab“, forderte der große Willi. „Tatsache ist, dass der Karl Moor doch seinen eigenen Verein aufmacht! Mal ehrlich, wenn der Alte ihn nicht verstoßen hätt´, was wär´ denn dann gewesen?“ Er schaute abwechselnd seine Frau und Ludolf provozierend an. „In Butter wär´ allet jewesen, wa? Er tät die Amalia heimführen, ihr ein halbes Dutzend Kinder machen und im Übrigen den lieben Gott einen guten Mann und in der Welt fünfe gerade sein lassen. Und mit dem Franz würd´ er allemal spielend fertig, der ist ein ganz feiger Hund, der kann nur hintenrum; das Majorat – sprich: die Kronprinzenrolle – wär´ ihm als Ältesten sowieso sicher, denn das war zu den finsteren Zeiten des Feudalismus unantastbar...“  
    „...wie heute. Wer ist denn so geschwind auf den abgenutzten, noch körperwarmen Sessel vom Honecker gerutscht...?“ Es war wieder Janine, die sich in empörtem Ton vernehmen ließ.
    „Schon gut, schon gut“, unterbrach Ludolf Friesel das Duett des Ehepaares, „ihr braucht mich nicht zu agit... – agitieren, hätt´ ich beinahe jesacht! – aufzuklären, meine ich. Interessieren tut nicht: Was wäre, wenn? – denn dann hätte der Schiller das Drama gar nicht zu schreiben brauchen, stimmt´s oder hab ick recht, Tschienie?“ Janine nickte nur schmunzelnd. „Also bitte: Bleiben wir bei den Tatsachen! Der Willi meint, der Leipziger-Karl macht seinen eigenen Verein auf. Schön. Meinethalben. Trotzdem steht doch eins fest wie der Vatikan in Rom: Er versammelt um sich Gleichgesinnte, wie weiland Spartakus – um in Italien zu bleiben –‚ um gegen Staat und damaliges Establishment, das in Zersetzung begriffen ist, zu kämpfen. Und dieser dekadenten Gesellschaft – wie man so schön sagt – gehört sein sauberer Herr Bruder an, der sogar von sich selber sagt, dass er ein Vertreter des Feudalabsolutismus´ ist, wa?“
    Der große Willi schüttelt den Kopf. „Das klingt in der Theorie recht hübsch; aber sieh dir die Kerle doch mal an! Was tun sie hinter dem Rücken vom Karl ? Blindlings morden, brandstiften und stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist – bis auf ein paar wenige Anständige, zugegeben. Das sind aber doch alles Aktionen, die man heutzutage als Terror, Anarchismus und Konterrevolution bezeichnet und verurteilt... Lass mich bitte ausreden! Wir müssten doch eigentlich wissen, was außerhalb von organisierten...“  
    Er kam nicht dazu, seinen Vortrag zu beenden, weil in diesem Augenblick hinter der Bühne der Gong von Libussa geschlagen wurde und das Publikum zurück in den Saal strömen, die Plätze wieder einzunehmen, hieß.
    „Debattieren wir nachher weiter!“ meinte Ludolf Friesel mit blitzenden Augen; er schien grimmig entschlossen, eine Vorstellung für die Kollegen seiner Brigade mit Dünnleder abzumachen. Der zweite Teil der auf zwei Akte zusammengestrichenen Aufführung mit den abschließenden Worten des Karl Moor : „...wer den großen Räuber lebendig liefert – dem Mann kann geholfen werden“, verstärkte noch seine Auffassung, dass gerade dieses Drama, mehr noch vielleicht als der „Tell“, den man jetzt überall im Land gab, wegen seines progressiven Atems in der gegenwärtigen Lage für die arbeitenden Menschen in Szene gesetzt werden sollte.  
     
    `Jetzt sind wir frei!´ Aber wovon? Und wofür? Alles Theater!?
    Vielleicht war der Schritt zurück ein wenig zu groß. Und wir wollen ja nichts vorwegnehmen. Wir sind nicht im Oktober, dem Monat der Räuber , wir sind erst im November und müssen das
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