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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Ende bereitet würde, immer noch nicht heimkehren – wegen eines Examens! Der Alte raste vor schierer Verzweiflung. Sonja kam hinzu, ihren Theobald zu beruhigen, trotzdem sie selbst kaum weniger Enttäuschung empfand, dass sie das innig geliebte Kind erst im nächsten Jahr in ihre Arme würden schließen können!
    Dem Jungen auf der Straße drohte zur gleichen Zeit ein heftiger Migräneanfall den Kopf zu zersprengen, er nahm eine Tablette nach der anderen, bis ihm Willi Widulle die Arznei wegnahm, um schlimmeres Unheil zu verhüten. Dann, nachdem Johannes unter der Wirkung der Droge lange Zeit ganz apathisch dahingetrottet war, verfiel er in einen erregenden, sinnverwirrenden und visionären Tagtraum: Er saß am Strand des Schwarzen Meeres auf einer Bank nicht weit vom Opern- und Ballett-Theater unter einer Palme, dem Lieblingsplatz Patricias, den er aus ihren Beschreibungen ganz genau kannte. Plötzlich stieg sie aus dem Meer wie die schaumgeborene Göttin Aphrodite, trat zu ihm, legte ihm die Hände auf die Schultern und schaute so sonderbar ernst und feierlich auf ihn herab. Sie ließ sich neben ihm nieder, strich ihm behutsam eine blonde Locke aus der Stirn, beugte sich vor, um ihn ganz sachte, in Andacht, auf den Mund zu küssen. Als er sie jedoch umfangen wollte, zuckte sie jäh zurück und streckte die Arme abweisend gegen ihren Zwillingsbruder aus, bevor sie verschwand und in einem neuerlichen Traumbild auftauchte als seine kleine zwölfjährige Schwester beim Schein einer Nachttischlampe. Er saß mit ihr im Bett, eng aneinander geschmiegt, wie sie es zeitlebens gewohnt waren, wenn sie noch vor dem Schlafengehen ein wenig über ihre Pläne plaudern wollten, die sie träumerisch in exotischen Abenteuern um die ganze Welt trugen. Sie sah ihn aus ihren stahlblauen Augen seltsam lächelnd und unergründlich an, während seine Blicke über ihre kleinen Brüste glitten, die unter dem geblümten Nachthemd mehr zu ahnen, als wahrzunehmen, waren... Und als er die Augen hob, ihr Antlitz zu schauen, gewahrte er, dass die erwachsene Patricia neben ihm saß, und ihr Lächeln war das gleiche wie vorhin, seltsam und nicht zu deuten; er blickte auf ihren halb geöffneten Mund, ob sie sich erkläre, wurde jedoch sogleich von einem unwiderstehlichen Verlangen erfüllt, ihre Lippen leidenschaftlich und begehrlich zu küssen, ehe sie noch etwas sagen konnte. Da sah er, wie sich ihre Lippen verschlossen, das Lächeln aus ihrem Gesichtchen wich und eine geheimnisvolle Furcht ihre feingeschnittenen Züge überdeckte. Indes sie sich zurückbog und verzweifelt zu wehren suchte, als ihr Bruder sie umfasste und an sich zog; bis es ihr endlich gelang, den Kopf wegzudrehen und zu stöhnen: „Was tust du, mein Gott, was tust du bloß?!“
    Und er spürte ihre Brüste an seiner Brust, er war seiner nicht mehr Herr, ein sinnlicher Schauer durchrieselte seinen Körper vom Kopf über den Rücken hinunter, während er ihre Haut an seiner Haut spürte; er presste sich an sie, und ein animalischer Schrei entrang sich ihm aus tiefster Seele: „Patricia!“
    * * *
    Nachwort
     
    Das also war der Anfang vom Ende des ersten real existierenden Sozialismus-Versuchs auf deutschem Boden. Eine knapp vierzigjährige Firma, die sich VOLKSEIGEN gab, ging bankrott, Tore öffneten sich: die der Gefängnisse und das Brandenburgische, um Millionen von Menschen in eine hoffnungsfrohe, aber doch ein wenig ungewisse Freiheit zu entlassen.
    Was aber folgt?
    Das Ende eines Buches schließt nicht immer das Ende der Menschen ein, die darin handelten und litten. Wie erst könnte das sein, wenn diese Menschen blutjung sind wie Gustav, der kleine Willi und Johannes; aber auch Michaela, die einfache Frau aus dem Volk, sowie Richlind und Erdmann, die Schauspielbesessenen. Die Menschen, die hier – abgesehen von einer Handvoll unsäglicher Politgrößen – typisiert dargestellt sind zu einem bildnishaften Ganzen, schreiten wahrlich gewiss weiter, gleichsam aus der Straße der letzten Zeile, und gehen ihren Weg über die leere Fläche der letzten Seite hinaus. Sie werden sich den Winter über, der den beschriebenen Herbsttagen folgt, und noch über etliche weitere Jahreszeiten ihrer Haut zu wehren haben: mit der Kraft der einfachen Leute gegen die Absichten, die die Mächtigen mit ihnen haben, Absichten, vor denen stets ein Wegweiser steht mit zwei Armen – jeder in eine andere Richtung weisend.
    Ob Erdmann Jansen sich nach der vermeintlichen Enttäuschung mit Richlind
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