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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken
Autoren: Annabel Pitcher
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1 Fiction Road
Bath
    1. August
    Lieber Mr S. Harris,
    bitte beachten Sie den roten Fleck oben links gar nicht. Es ist nur Marmelade, kein Blut, aber Ihnen muss ich den Unterschied ja bestimmt nicht erklären. Es war keine Marmelade von Ihrer Frau, was die Polizei auf Ihrem Schuh fand.
    Die Marmelade ist von meinem Sandwich. Himbeermarmelade, selbstgekocht, von meiner Oma. Sie ist vor sieben Jahren gestorben, und diese Marmelade war das Letzte, was sie gemacht hat. Na ja, wenn man davon absieht, dass sie wochenlang im Krankenhaus lag und an eine dieser Herzmaschinen angeschlossen war, die piep piep machen, wenn man Glück hat, und piiiiiiiiiiieeeeeeeeeeep , wenn man Pech hat. So hörte sich das vor sieben Jahren an. Piiiiiiiiiiieeeeeeeeeeep . Sechs Monate später kam meine kleine Schwester zur Welt, und mein Dad hat sie nach Oma benannt. Dorothy Constance. Als mein Dad nicht mehr so traurig war, hat er den Namen abgekürzt. Meine Schwester ist klein und rund, und deshalb nannten wir sie dann Dot, wie »Punkt«.
    Meine andere Schwester, Soph, ist zehn. Beide haben lange blonde Haare und grüne Augen und spitze Nasen, aber Soph ist groß und dünn und hat dunklere Haut, so als hätte man Dot ausgerollt und zehn Minuten im Ofen gebacken. Ich sehe anders aus. Braune Haare, braune Augen, mittelgroß, mittelschwer. Gewöhnlich. Denke ich mir. Wer mich sieht, würde mein Geheimnis nie erraten.
    Es fiel mir dann schwer, das Sandwich aufzuessen. Die Marmelade war nicht schlecht oder so; in sterilisierten Gläsern hält sie jahrelang. Das behauptet Dad jedenfalls, wenn Mum die Nase rümpft. Ihre Nase ist auch spitz. Ihre Haare haben dieselbe Farbe wie die meiner Schwestern, sind aber kürzer und ein bisschen wellig. Dads Haare ähneln meinen, abgesehen von den grauen Stellen über den Ohren. Und er hat eine Heterochromie, was bedeutet, dass sein eines Auge braun und das andere heller ist. Wenn die Sonne scheint, wirkt es blau, bei Wolken grau. Er hat den Himmel im Auge, habe ich mal gesagt. Und dann hat Dad noch solche Grübchen in der Mitte der Wangen. Ich weiß nicht, ob das alles wichtig ist, aber ich denke mir eben, Sie sollten sich meine Familie vorstellen können, bevor ich Ihnen alles andere erzähle.
    Ich bin nämlich wild entschlossen, Ihnen alles zu erzählen. Schließlich sitze ich nicht aus Spaß in diesem Schuppen. Es ist eiskalt hier drin, und Mum würde mich umbringen, wenn sie wüsste, dass ich nicht im Bett bin, aber es ist ein guter Platz, um diesen Brief zu schreiben. Der Schuppen ist von ein paar Bäumen verdeckt. Fragen Sie mich nicht, was für Bäume das sind. Sie haben jedenfalls große Blätter, die im Wind rauschen. Schschwiiischsch . Oder so ähnlich hört sich das an.
    Weil ich Marmelade an den Fingern habe, ist mein Stift klebrig. Die Schnurrhaare der Katzen sind es jetzt bestimmt auch. Lloyd und Webber miauten wie wild, als ich das Sandwich über die Hecke warf. Sie konnten wohl ihr Glück kaum fassen, als ein Sandwich vom Himmel fiel. Ich hatte keinen Hunger mehr. Offen gestanden hatte ich auch vorher keinen und hatte mir das Sandwich nur gemacht, damit ich nicht mit dem Brief anfangen musste. Das ist nicht gegen Sie gerichtet, Mr Harris. Es ist eben nicht leicht für mich. Und ich bin müde. Seit dem 1. Mai habe ich nicht mehr richtig geschlafen.
    Hier draußen besteht jedenfalls keine Gefahr, dass ich eindöse. Der Stapel Dachziegel, auf dem ich sitze, drückt an den Oberschenkeln, und durch einen Spalt unter der Tür weht kalte Luft herein. Ich muss mich beeilen, weil die Batterie von meiner Taschenlampe blöderweise bald den Geist aufgibt. Zuerst hatte ich sie mir zwischen die Zähne geklemmt, aber dann tat mir der Mund weh. Jetzt liegt sie auf dem Fensterbrett neben einem Spinnennetz. Ich gehe normalerweise nicht in diesen Schuppen, vor allem nicht nachts um zwei, doch heute ist die Stimme in meinem Kopf lauter denn je. Ich sehe alles wieder vor mir, und mein Puls rast rast rast wie verrückt. Wenn mein Herz an eine dieser Krankenhausmaschinen angeschlossen wäre, würde das Ding bestimmt zerspringen.
    Als ich aus dem Bett stieg, klebte mir der Schlafanzug am Rücken, und mein Mund war trocken wie die Wüste. Da habe ich mir Ihren Namen und Ihre Adresse in die Tasche meines Morgenmantels gesteckt und bin hier rausgeschlichen. Und nun sitze ich vor diesen ganzen leeren Blättern und will Ihnen unbedingt mein Geheimnis anvertrauen, weiß aber nicht, wie ich anfangen soll.
    Wenn man schreibt,
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