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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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stehen, weil ihr das Wasser in die Augen getreten war. Schneeregen schlug gegen die Scheibe, schmolz sogleich und lief in dicken Tropfen herunter.
    Erdmann Jansen war – erschrocken über die Wirkung seiner Worte – rasch hinter sie getreten und packte sie kurzerhand bei der Schulter, um sie herumzudrehen. „So hab ich das doch nicht gemeint, verfl ... ixt“, sagte er ein wenig zu laut, ließ sie los, wandte sich ab und vergrub die Fäuste in seiner Hosentasche. „Ausgerechnet heute, wo das ganze Elend seinem Ende zuzugehen scheint, ist man halt froh, wenn man noch halbwegs gesunde Knochen hat und auf eine sichere Existenz...“
    Er unterbrach sich, weil er befürchtete, erneut ins Fettnäpfchen zu treten, und traute sich nicht mehr, sie anzublicken.
    Michaela sah das anders; genau gesagt, dachte sie sich nicht viel bei seinen Worten, jedenfalls nichts Arges, warf ihm freilich einen forschenden Blick zu und angelte nach einem Taschentuch, sich die Augen zu wischen.
    Als sie beide dann ihr wortloses Frühstück beendet hatten, und er sich anschickte, seinen Mantel zu holen, ein abgetragenes Stück, den er jetzt immer anzog, sagte sie: „Een Momentchen mal, wa?“
    Rasch lief sie ins Schlafzimmer und kam mit einem funkelnagelneuen Trenchcoat wieder, den sie ihm ausgebreitet hinhielt: „So, jetzt schlüpfen Sie mal hier hinein!“
    Mechanisch tat er ihr den Willen, bereute es aber sofort wieder und maulte: „Sie sind ganz schrecklich, Michaela! Das ist ja die reinste Vergewaltigung! Ich kann mich doch nicht von Kopf bis Fuß von Ihnen ausstatten lassen...“
    „Pah“, machte sie, „das ist nur der Mantel von meinem verstorbenen Mann, wenn´s Ihnen nix ausmacht...“
    „Noch was?“ rief er bestürzt.
    Indem sie ihm einen langen, dreifarbigen Schal um den Hals legte, meinte sie leichthin: „Im Augenblick nicht.“
    „Und wann kommen Hosen, Röck´, Schuh´ und...“
    „Reden Sie nur weiter! Ich hör´ sowieso nicht hin!“ Damit begann sie, ihm den Schal zu verknoten, was er kopfschüttelnd und widerspruchslos hinnahm, jedoch mit sichtlich leidender Miene, während sie weiter an ihm herumzupfte. Ihm wurde ganz elend zumute bei der Prozedur.
    „Ma-Jo!“ rief sie, „eine Grimasse schneidet er dabei, als ob es ihm an den Kragen ginge, he?“ Sie trat einen Schritt zurück, um sein Aussehen zu begutachten. „So, nun schauen Sie wirklich fesch aus! Was meinen Sie, wie sich die Berliner Mädchen nach Ihnen rumdrehen werden?!“
    Nun holte sie noch Handschuhe und einen Regenschirm herbei. Doch anstatt nach den Sachen zu greifen, nahm er geschwind ihren Kopf in beide Hände und küsste sie heftig auf die Wangen. Fast hätte sie alles fallen lassen vor Schreck über diesen plötzlichen Überfall. Als er ihren Kopf wieder losließ, blickte er sie nicht mehr an, sondern riss ihr die Sachen aus der Hand und ging schnell aus der Küche mit den Worten: „Man sieht sich!“ Sie hörte, wie er hastig durch den Flur stampfte, die Haustür aufriss und hinter sich ins Schloss fallen ließ.
    Zu keiner Regung fähig und noch ganz benommen, stand sie mitten in ihrer Küche und starrte auf die Tür, durch die er so rasch geflohen war. Nach einer Weile holte sie ganz tief Luft, schüttelte den Kopf und sagte halb versonnen, halb amüsiert vor sich hin: „Da sieh mal einer kiek...“
Und fügte nach einer weiteren Weile hinzu: „Diese Art Bruderkuss werde ich ihm freilich baldigst austreiben...“
     
    Die beiden Jungen hatten den Einfall gehabt, und Michaela war sogleich Feuer und Flamme gewesen, was sie sich allerdings nicht anmerken ließ. Sie hielt es für eine glänzende Idee, sich gemeinsam mit Erdmann auf dem Pariser Platz hinter dem Brandenburger Tor unter die Freiheit suchenden Leute zu mischen. Sie wunderte sich nur, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Auch die Widulle-Mädchen freuten sich unbändig.
    Hoffentlich stößt er pünktlich von der Kulturhauskneipe aus wieder zu uns, hoffte Michaela inständig, und verfehlt uns nicht um Gottes willen! Sie freute sich einfach darauf, diesen besonderen Tag an seiner Seite verbringen zu können; denn nur mit dem „jungen Gemüse“... Und sie trieb zum Aufbruch, hatte kaum Ruhe, vorher noch etwas Warmes zu sich zu nehmen.
    In ihnen war keine Spur von Müdigkeit, sie schritten eilig und schweigsam voran, weil sie wussten, dass Gleichgesinnte auf sie warteten und Neuigkeiten ungeahnter Tragweite. Nur ein Gedanke erfüllte sie: Freiheit. Sie war gegen den Widerstand der
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