Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
Vom Netzwerk:
einmal mehr Hunderttausende von Menschen in mehreren Städten des Landes für Reformen, freie Wahlen und Reisefreiheit in alle Länder des Globus, besonders aber in die Bundesrepublik. Und noch am letzten Oktobertag erscheint der amtierende Einheitspartei- und Staatschef zum Rapport in Moskau, um sich Nachhilfeunterricht in Sachen Umgestaltung der Zukunft geben zu lassen von dem großen roten Bruder in Osten.
    Mit Monatsanfang November beginnen sich die Ereignisse langsam, aber stetig zu beschleunigen, am Ende zu überschlagen. Rücktritte von Exponenten des Staates häufen sich. Den wieder anschwellenden Flüchtlingsströmen versuchen die Machthalter mit einem – kümmerlichen – Entwurf für ein neues Reisegesetz zu begegnen. Die Zahl der Demonstranten geht auf die Millionengrenze zu. Die Mitglieder des Ministerrats – einmalig hierzulande – legen geschlossen ihre Regierungsämter nieder. Die drei Freunde erleben also Szenen, über denen sie die Schule vergessen, wenn auch noch die klassischen Verse durch ihre jungen Köpfe gehen:
    „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
    Und neues Leben blüht aus den Ruinen.
    Seid einig – einig – einig!“
    Indes lassen sich die drei Freunde nicht vom Erlebnis des Kinostarts „Sex, Lügen und Video“ von Steven Soderbergh abhalten, ein jung-frecher Streifen, der auf Anhieb das Filmfestival in Cannes gewinnt.
     
    An dem nebligen Morgen des 9. November trug sich in der Kruggasse folgendes zu: Es herrschte noch Dunkelheit, als Janines Wecker klingelte. Unten im Parterre schlug Michaelas Standuhr sechsmal. Unmittelbar danach begann im Zimmer von Erdmann Jansen die Radiouhr den Westschlager von einem bisschen Freiheit zu spielen, der jedoch geschwind abgedreht ward, derweil es in allen Räumen des Hauses lebendig wurde.
    Michaela, die ihren Untermieter nach Strich und Faden verwöhnte, nahm sich nicht einmal die Zeit, ihr Negligé überzuziehen, sondern stürzte im Nachthemd in die kalte Küche, um zu heizen und sich zu waschen. Als sie die Fenster öffnete und den unaufhörlich aus grauem Himmel fallenden Schneeregen sah, dachte sie enttäuscht: Himmel, ist das ein Sauwetter, und das ausgerechnet heute! Aber wie der Mantel von Jürgen da dem Erdmann passen könnte. Mal schauen, wie der Dickschädel reagiert!
    Sie machte sich daran, den Perlon-Kaffee aufzugießen und das Frühstück zuzubereiten, als es schon an der Tür klopfte.
„Darf man eintreten?“
    „Nur immer herein, wenn´s kein Schneider ist!“ rief Michaela aufgeräumt und munter. Schnell band sie ihre Schürze ab, um Erdmann Jansen in offensichtlich bester Laune zu begrüßen.
    Er stutzte, als er sie ansah. „Donnerwetter, Michaela, Sie haben sich ja fein herausgemacht!“
    „Mein Gott!“ schrie sie auf, legte ihre Arme über Kreuz auf die Brust und entschwand mit in komischer Verzweiflung verzogenem Gesicht aus der Küche. Im Schlafzimmer wollte sie schon das feine Negligé, dieses unsägliche Präsent des Warschauers, anlegen, als sie sich eines Besseren besann.
    Diesmal pfiff Erdmann Jansen unwillkürlich durch die Zähne, als sie wieder vor ihm stand. Sie trug das dunkelrote Kleid, jenes, mit dem sie ihn bei seiner Ankunft begrüßt hatte. Es war nun einmal ihr bestes Stück, das ihre schlanken Beine und schmalen Hüften so vorteilhaft zur Geltung brachte.
    Dass es seine Wirkung nicht verfehlte, bewies das leise, verstohlene Pfeifen des Mannes, das sie freilich von ihm am allerwenigsten erwartet hatte. Stille Wasser...‚ dachte sie, da darf man ja mal gespannt sein, was der Herr noch so alles auf der Pfanne hat.
    „Na, heute ist ja ein besonderer Tag“, meinte er, „da wird wohl schwerlich gearbeitet werden, und man kann sich schon beizeiten hübsch machen, da haben Sie recht, auch wenn man nicht gerade zu seiner eigenen Hochzeit geht, so wie Sie zum Beispiel jetzt ausschauen.“
    „Du lieber Gott!“ rief sie hell auflachend, „wer tät mich schon heiraten!“
    „Na, sagen Sie das nicht“, entfuhr es ihm, und er wurde ein wenig rot dabei. „Erstens haben Sie sicher genug Verehrer, die sie heiraten würden, zweitens könnte jedermann sich froh und glücklich schätzen, wenn...“ Er unterbrach sich und bat verlegen lächelnd um die Milch.
    Sie sah sich betreten auf dem Tisch um. „Himmel, die Milch hab ich ja ganz vergessen!“ rief sie und ging zum Doppelfenster, wo die Dose wie in einem Kühlschrank aufbewahrt wurde um diese Jahreszeit. Abgewandt blieb sie ein Weilchen am Fenster
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher