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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Schumann!“
    Zunächst konnte sich Michaela in Gegenwart des schauspielernden Regisseurs einer gewissen Befangenheit nicht erwehren, der nun – wie sie sich positiv enttäuscht eingestehen musste – so gar keinen gefährlichen Eindruck mehr machte wie auf den Bühnenbrettern. Mit verlegenem Lächeln bot sie ihm an, doch bitte Platz nehmen zu wollen. „Ach, wir haben es recht einfach hier“, sagte sie und wandte sich an die Jungen, die mit strahlenden Mienen dabeistanden, „seid ihr bitte so lieb und tragt die Koffer von Herrn Jansen nach hinten ins Zimmer, ja? Es ist offen.“
    „Nun, dann möchte ich mich gleich verabschieden“, sagte Gustav.
    Erdmann Jansen schüttelte ihm kräftig die Hand. „Noch einmal vielen Dank, Jungs, es war wirklich nett von euch, dass ihr mir geholfen habt.“
    Als sie allein waren, drückte er Michaela sein Beileid aus zum Tod ihres Mannes; er tat das schlicht und natürlich, wie es seine Art war, mit wenig Worten und einem kurzen Händedruck, wofür Michaela ihm dankbar war. Im Stillen hoffte sie nun nicht nur, dass ihr in ihrer seelischen Verfassung der Umgang mit diesem neuen Hausgenossen, der so ruhig und ausgeglichen wirkte, eine wohltuende Ablenkung von ihren düsteren Gedanken bringen würde, sondern auch, sich einem Menschen, der selbst viel im Leben durchgemacht, mitteilen zu können.
    Diese Aussicht stimmte sie tröstlich; wenn nur die Beisetzungsformalitäten schon vorüber wären.
    Schon bald erkannte sie, dass Janine nicht zu viel versprochen hatte, als sie Erdmann Jansens menschliche Eigenschaften rühmte. Obwohl sie sich erst allmählich an seine herbe, fast spröde Art gewöhnen musste, spürte sie doch nach jedem Wort, das sie mit ihm wechselte, eine zuversichtliche Ruhe in ihr sich verfestigen. Wenn sie in seine klaren Augen schaute, die so kühl, aber dabei keineswegs unfreundlich blickten, war ihr, als erfasse sie ein ganz unerklärlicher Energiestrom, und sie fühlte, wie sie nach und nach wieder festen Boden unter ihren Füßen gewann.
     
    Längst hatte die Jungens nach glorreich überstandener Premiere und inmitten siegestrunkener Erfolge zahlreicher Aufführungen wieder der ernüchternde Schulalltag eingeholt, eine Reihe weiterer Brigaden hatte für ihre Werktätigen geschlossene Vorstellungen gebucht. Beifallsgewohnt, entrückt dem grauen Einerlei mit seinen Sorgen und Nöten, mussten sie – schneller, als Gustav und seinen Kameraden lieb war – wieder die Schulbank drücken und büffeln.
    Vor allem Gustav verfluchte diesen erneuten Zwang von Unterricht und Lehrerschaft; besonders Eichhorst mit seinem demagogischen Gefasel über die Zukunft ihres sozialistischen Gemeinwesens und des in Bälde alles umfassenden Globalkommunismus ging ihm mächtig auf die Nerven.
    Aussicht stand im Moment lediglich eine Wochenendvorstellung der Räuber , die zwei geplanten Aufführungen an Werktagabenden waren durch die Schulbehörde gefährdet; es wurde gemunkelt, dass ein Verbot des Auftretens von Schülern mit nichtstaatlichen Schauspielern zu befürchten sei. Es kostete Gustav eine ganze schlaflose Nacht! Ade nun, ihr göttlichen Musen? Ade nun, du goldene Freiheit der Phantasie?  
    Ade nun vielleicht auch, ihr Räuber ?  
     
    Die aktuellen Geschehnisse an allen Ecken und Enden der Republik und im verbündeten Ausland waren letztlich beunruhigender als die Sorge, ob schulpflichtige Knaben durch den Umgang mit autonomen Kulissenreißern Schaden an Verstand und Seele erleiden könnten. Die Leipziger erleben die größte Demonstration seit Menschengedenken, die Straßen und Plätze waren schwarz von dreihunderttausend Menschen, die Reformen forderten. Der smarte Egon tritt an Honeckers Stelle, allerdings entgegen jeder bisherigen Praxis bei Gegenstimmen und Enthaltungen in der Volkskammer. Der brandneue, altbekannte, langbewährte und berühmt-berüchtigte Genosse kündigt gesellschaftlichen Dialog an und verspricht erneuerten Arbeitsstil für Volkskammer und Staatsrat, erklärt, „Fehler seien gemacht worden, doch die Wende sei eingeleitet...“ Seine Ausführungen als substituierter Staatschef stoßen auf ebenso wenig Gegenliebe wie seine früheren Tätigkeiten. Das Volk heißt ihn Oberwendehals.
    Während weitere größere Flüchtlingstransporte aus Prag den Freistaat Bayern erreichen, sieht sich der Staatsrat dieser Republik gezwungen, eine Amnestie für sogenannte Republikflüchtige und Demonstranten zu erlassen. Am letzten Montag im Monat Oktober demonstrieren
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