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Mord Im Kloster

Mord Im Kloster

Titel: Mord Im Kloster
Autoren: Philipp Espen
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    1
     
     
     
    Frühsommer 1316
     
    Die Hulk rollte in der Dünung, blieb aber unbeirrbar auf Kurs. Sie zog ihre Bahn nach Westen.
    Henri de Roslin hatte von einem Seefahrer gelernt, dass es im Meer Fahrstraßen gab. Das waren Strömungen, die unter der Oberfläche unabhängig von Gezeiten und Jahreszeiten dahinflossen. Zusammen mit dem Wind erzeugten sie eine Drift, die in die gewünschte Richtung führte – wenn man wusste, wohin man wollte. Die Gefährten wussten es. Ihr Ziel war England. Und ihre Zwischenstation würde Lübeck sein. Dort sollte ein Bote nach dem südfranzösischen Uzès reiten, um Henris Knappen Sean of Ardchatten, der bei Ritter Fabian in der Lehre war, in das Schleswig’sche Hamburg zu bestellen. Von dort aus wollten sie über die Mündung der Elbe auf die grüne Insel übersetzen. Sie dachten, dass in dieser schweren Zeit Freunde zusammen sein mussten.
    Henri de Roslin hatte eine unbezähmbare Sehnsucht nach England. Er konnte es kaum erwarten, unter der milden Sonne seines Heimatlandes zu sein.
    »In England, meine Freunde, werden wir nach all den Kriegen und Strapazen den wahren Frieden erleben. Ich werde euch auch das Herz von Midlothian zeigen.«
    Am Ende des Junis fühlten die Gefährten einmal mehr, wie schnell die Zeit über die Erdenscheibe eilte. Man konnte sie wahrhaftig nicht festhalten. Und wäre das nicht auch frevelhaft gewesen? Denn dem Ratschluss des Herrn oblag es, wie viel Zeit oder wie wenig Zeit er in das irdische Dasein streute.
    Die Hulk glitt dahin, und die Freunde hatten Zeit genug, um sich mit Fragen zu beschäftigen, die im Kampf gegen ihre Feinde zu kurz kamen. Und sie nutzten diese Zeit.
    »Wir können die Krone des Lebens empfangen«, sagte Henri, »wenn wir endlich unseren gemeinsamen Glauben an einen einzigen Gott feiern. Denn allzu lange, es sind nun beinahe 200 Jahre, haben wir uns blutig bekämpft.«
    »Mein Gott ist der Einzige, der Allmächtige«, sagte Uthman.
    »Und meiner auch.«
    »Und meiner ebenso.«
    »Wir Juden«, sagte Joshua ben Shimon, »haben niemand bekämpft. Wir wurden bekämpft. Wir haben immer nur auf den Messias gewartet.«
    »Aber ist es nicht so, dass Petrus als Erster den Glauben an Christus bekannt und aus Israels heiligem Rest die erste Kirche gesammelt hat? Und Paulus empfing die Gnade tiefer Einsicht und die Berufung zum Lehrer der Heiden. Mit dem Heiden bist du gemeint, Uthman ibn Umar.«
    Der Sarazene verzog das Gesicht. »Mein Freund, die Zeiten, in denen mich ein solches Reden beleidigte, sind vorbei. Mein Glaubensstifter Muhammad, Friede sei mit ihm, war ein wahrhaft weiser Mann. Übrigens war er der letzte Prophet der Menschen, und Jesus war nur einer von hundert. Muhammad sagte, dass Jerusalem die heilige Stadt aller drei großen Religionen sei und dass es nur einen Stammvater des Glaubens gibt, nämlich Abraham – wir nennen ihn Ibrahim. Und selbstverständlich gibt es nur einen Gott. Nur die christlichen Kreuzfahrer wussten davon nichts. Sie kamen ins Heilige Land, nahmen sich, wozu sie ein Recht zu verspüren glaubten, und sie töteten wie Tiere. Kann der Gott, den diese Mörder anbeteten, der Gott von friedliebenden Muslimen sein?«
    »Kann es der Herr sein?« Joshua schüttelte den Kopf. »Die Christen waren es, die den Glauben an den einzigen Gott verrieten. Sie zogen mit ihrem Fanatismus das tiefe Glaubensgefühl in den Schmutz. Das wirst du zugeben, Henri de Roslin.«
    »Ich habe gar nichts zuzugeben. Ich war als unschuldiger Knappe bei der Rückeroberung von Akkon dabei. Ich habe in Palästina höchstens Fliegen getötet – die allerdings in Massen, und das nicht nur am Turm der Fliegen, der, wie ihr vielleicht wisst, zwischen dem Turm der Deutschen und dem pisanischen Viertel lag. Aber ich will euch Recht geben, weil die Abendsonne auf der Ostsee im Augenblick so schön ist – Gottes Schöpfung ist für uns alle da. Und es gibt nur den Gott des Friedens. Kriegsgötter sind für Häretiker und Renegaten da. Und für Ungläubige.«
    »Aber genau genommen«, beharrte Joshua, »haben die Kreuzfahrer durch ihr Tun jeden hellen Tag in eine Nacht verwandelt, in der wir besonders die Gottferne spüren. In die Nacht der Sünde, in der wir Menschen uns in besonderer Weise widergöttlichen Anderen ausgeliefert sehen. Wir müssten zum Kampf gegen so viel frechen Unglauben antreten. Aber das viele vergossene Blut demoralisiert uns.«
    »Joshua! Gib Acht, dass du nicht ungerecht wirst! Auch wir Christen haben die
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