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Mord Im Kloster

Mord Im Kloster

Titel: Mord Im Kloster
Autoren: Philipp Espen
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Mittel aufbrachten, sie zu unterhalten, wurden sie den geistlichen Orden anvertraut, meistens den Hospitalitern, aber auch den Templern. Henri hatte damals als Knappe seines Ritters alle Spitäler aufgesucht, in denen ihre eigenen Verwundeten lagen, deren Anblick dem hohen Pathos der Kreuzzüge widersprach. Damals hatte er den Wunsch verspürt, Medicus zu werden.
    Aber vor neun Jahren, nach dem Fall der letzten christlichen Hafenstadt Akkon, hatten sie überstürzt alles zurückgelassen. Vielleicht war das gut so. Es war gewiss der Wille des Herrn gewesen, dass sich die Ritterorden aus dem Heiligen Land zurückzogen. Wie viel Blut geflossen war! Jetzt, wo man nicht mehr den Heiligen Krieg zu finanzieren hatte, konnte man sich auch um den Ausbau des Besitzes in Europa kümmern. Auch hier gab es Kranke und Arme, mehr als genug, die Unterstützung brauchten. Allzu lange hatten die Templerkompture nur an Jerusalem gedacht. Aber Henri wollte nicht ungerecht sein, er dachte voller Liebe an den Großmeister seines Ordens, Jakob von Molay.
    Der Großmeister tat stets das Richtige. Henri liebte ihn mehr als seinen eigenen Vater, an den er kaum Erinnerungen besaß.
    Henri trat erneut ans Fenster und sah Schwalben in Scharen hinabstürzen. Die Frau unten war verschwunden.
    Kurze Zeit vorher hatte ein junger Bruder der armen Ritter Christi den soeben erhaltenen Brief in eine Schatulle gelegt, nachdem er ihn hin und her gewendet hatte. Warum war ausgerechnet er damit beauftragt worden, ihn an Henri de Roslin weiterzugeben? Er erhob sich und trat mit leichten Schritten an die schmale, hohe Fensteröffnung mit dem verschlungenen Maßwerk. Leise summte er eine Melodie vor sich hin, brach ab und begann sie erneut. Sie klang finster, fremd. Dieses Lied! Es ging ihm nicht aus dem Kopf. Er wurde davon abgelenkt. Das Lied flatterte hinter seinen Augen wie ein gefangener Schmetterling umher.
    Die hoch gewachsene Gestalt des jungen Templers straffte sich, als habe er zu lange über den Büchern gesessen. Er starrte lange hinunter auf den begrünten Innenhof, um seinen Blick auszuruhen, aber er wollte diesen Blick auf den Kräuterbeeten eingraben, um nichts anderes sehen zu müssen als die einfachsten Formen der Schöpfung. Es war warm, in der Luft hing der Geruch vieler Blüten und von Ysop, Bärlauch und Bockskraut. Vielleicht hielt sich der Duft auch nur, weil die Mauern des Tempelbezirks so hoch waren. Im übrigen London dagegen stank es erbärmlich, und nicht nur dort, wo die Kloaken in Bächen durch die engen, gewundenen Gassen sprudelten.
    Neville of Gwyn kannte das Lied. Er musste es nur endlich entschlüsseln! Denn das Lied, das ihm nicht aus dem Sinn ging, wollte ihm etwas sagen. Wieder summte er die Melodie bald lauter, bald leiser vor sich hin, mit seiner wohltönenden Baritonstimme, die im Kontrast zu seiner jungenhaften, schlaksigen Erscheinung stand. Er blieb kerzengerade wie ein Mann stehen, der Anklägern die Stirn bieten will, bis sich auf der gebräunten Haut seiner Wange plötzlich ein Zucken zeigte. Als wolle er eine lästige Fliege loswerden, schlug er mit der Hand auf die Wange. Dabei brach die Melodie ab.
    »Das ist es!«, sagte der Tempelbruder erstaunt. »Der Heilige Vater selbst hat das Lied gesungen, weißt du? Irgendwann bei Nacht, als ich noch Adept meines Medicus war und ihn zur Ader lassen musste. Warum ist mir das nicht eher eingefallen? Etwas in meinem dummen Kopf war wohl dagegen, nun seltsam – es drückte wohl seine Art aus, mit der Angst vor den Schmerzen umzugehen.«
    »Ja«, sagte jemand, der sich in der Zimmerecke hinter einer spanischen Wand befand. »Aber warum löst verdammt noch mal diese Melodie unsere Rätsel, Magisterchen?«
    Der junge Arzt des Londoner Tempels, Neville of Gwyn, winkte übertrieben mit dem Zeigefinger in die Richtung der Stimme, und eine zwergenhafte Gestalt sprang daraufhin hinter dem Schirm hervor. »Schau einmal dort hinüber, Giacomo.«
    »Ich schaue schon, lieber Herr.«
    »Und was siehst du?«
    »Was Er wohl auch sehen möcht, Herr«, antwortete der verwachsene Lakai vorsichtig.
    »Nein, das tust du nicht, mein Freund. Du siehst einen Garten, der unseren mächtigen Tempelturm umgibt – stimmt’s?«
    »Das will ich meinen«, sagte Giacomo bedächtig und schielte nach oben. »Und was für einen! Vom Magisterchen selbst angelegt!«
    »Ich hingegen sehe die Schöpfung. Das kommt daher, weil ich sie sehen will! Würdest du dich anstrengen, dann könnte es dir auch
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