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Mord Im Kloster

Mord Im Kloster

Titel: Mord Im Kloster
Autoren: Philipp Espen
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zu feige für irgendeine unbotmäßige Tat.
    Was blieb ihm übrig, als die Zellen der Brüder aufzusuchen, eine nach der anderen, vierundzwanzig insgesamt. Irgendwo musste der Brief sein. Vielleicht wollte ihn jemand nur ausleihen? Unsinn! Niemand sonst wusste von dem Dokument.
    Oder sollte er einfach zu Henri de Roslin gehen und ihm die Sache beichten? Er musste sofort zu ihm gehen, auch wenn der Templer zurzeit seine Unterweisungen in fiskalischen Dingen erhielt.
    Neville seufzte. Man würde ihn jetzt ebenso wenig vorlassen wie am Morgen, als er es versucht hatte. Henri war abgeschirmt. Auch wenn ihm die Rolle eines Ermittlers gar nicht gefiel, er musste den Tathergang aufklären. Der Brief schien wichtig zu sein, der Bote hatte ein dringendes Gesicht gemacht und sofortige Antwort gefordert. Neville gab sich einen Ruck und trat auf den Gang hinaus.
    Die Brüder hielten noch nachmittägliche Ruhe, aber die Stunde war gerade zu Ende, und er konnte stören, ohne Schimpf zu ernten. Er klopfte an die erste Tür zur Linken, die zum Raum neben dem seinen führte. Ein dumpfes Geräusch war drinnen zu hören, dann wieder Stille. Neville klopfte erneut. Keine Antwort.
    »Bruder Robin?«
    Kaum hatte er den Namen des französischen Tempelbruders ausgesprochen, der im Konvent seit einigen Wochen als Gast weilte, hörte er von jenseits der dunklen Eichentür ein unterdrücktes Geräusch. Es klang wie ein Schluchzen. Dann rannte jemand davon. Der Magister spürte ein ekelhaftes Kribbeln im Nacken. Deutlich vernahm er sich entfernende Laufgeräusche. Durch welche Tür wollte der französische Bruder verschwinden? Es gab keine zweite in den Zellen. Und wohin?
    Neville klopfte noch einmal, nichts geschah. Er beschloss, sich mit Gewalt Eingang in den Raum zu verschaffen. Aber das war gar nicht nötig, denn die Tür war nicht verriegelt, wozu aber jeder Bruder während der Ruhezeiten verpflichtet war. Die Tür ging leicht nach innen auf, als er die Klinke herunterdrückte.
    »Bruder? Verzeiht, Bruder…«
    Neville brach ab, das Zimmer war verwaist. Im ersten Moment wollte er umkehren, aber dann machte er sich klar, dass bei seinem Klopfen jemand hier gewesen war. Aber… ein unchristlicher Fluch formte sich auf seinen Lippen… wohin sollte der Bruder gegangen sein?
    In einem Augenblick des Erschreckens sah Neville, dass am Fensterrahmen ein Leinentuch verknotet war. Schnell trat er an die Öffnung. Das Leinentuch endete gut und gern fünf Meter über dem Boden. Unten, im weichen Sand des Weges, sah er Spuren nackter Füße. Neville erkannte selbst von hier oben deutlich die abgespreizten Zehen, die Füße waren beim Sprung tief eingesunken. Bruder Robin!, dachte er in einem Anflug von schmerzhafter Erinnerung an den jungen, liebenswerten Zimmernachbarn, der schnell errötete. Er war aus Paris gekommen, um im Tempel seine ersten Exerzitien zu erhalten.
    Neville hielt sich nicht mit Gedanken auf. Er raste mit klappernden Sandalen hinunter in den Garten. Vielleicht konnte er die frischen Spuren des Flüchtigen eine Weile verfolgen.
    Unten begegnete er einem anderen Bruder, den er nach Robin Gelmour-Bryson fragte. Er erhielt nur ein stummes, verwundertes Kopfschütteln als Antwort. Erst auf dem sauber geharkten Sandweg sah er wieder Fußspuren, sie führten geradewegs zum Durchgang nach dem Kapitelsaal.
    Neville lief mit gleichmäßigen Bewegungen den Weg entlang und über die wenigen Steinstufen, die in den Saal hinunterführten. Hinter dem Eingangsportal erwartete ihn jemand.
     
     
    Eine Hand strich über den Brief und glättete ihn. Die Hand war schneeweiß, mit Spuren von dunklen Hautflecken, das Briefpapier schimmerte glatt, geheimnisvoll mit seiner Schrift aus roter Tinte. Jetzt kam die Hand, die einen Siegelring trug, auf dem Papier zur Ruhe, lag wie eine Spinne darauf. Ein befriedigtes Knurren war zu hören.
    »Er will sich also mit Henri treffen, der Hund!«, murmelte eine brüchige Stimme. »Woher hat er bloß Wind von der Verschwörung bekommen?«
    Die Gestalt, die jetzt in den Lichtkreis des Kerzenhalters trat, war jung, aber die Stimme war greisenhaft. Auch das Lächeln im Gesicht war jung und boshaft. Es drückte Triumph aus. Das Lächeln triumphierte über etwas, das mehr bedeuten musste, als ein Brief es sein konnte. Es war etwas im Dunkeln, in der Vergangenheit, das den Mann im roten Ornat triumphieren ließ, und sein erstarrtes Wesen drückte aus, dass er ganz in dieser Vergangenheit zu leben schien. Zumindest
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