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Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Titel: Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
Autoren: Gillian Philip
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    I m Hof stinkt es nach Tieren und Schmutz und menschlichen Ausscheidungen. Und nach aus dem Leben Geschiedenen, denke ich unwillkürlich, denn unter den Gestank, der in den finster dräuenden Sonnenuntergangshimmel aufsteigt, mischt sich der Geruch des Todes. Nichts kann ihn überdecken. Mein Bruder ist nicht der Erste, der hier sterben wird, und er wird auch nicht der Letzte sein.
    Ich wische mir mit dem dreckigen Arm über die Nase und über die Augen, denn mein Blick ist verschwommen und ich kann nicht richtig sehen. Dann schließe ich die Augen und kauere mich an der Brüstung zusammen. Ich wünschte, ich wäre hundert Meilen weit weg, aber wie hätte ich Conal dann noch helfen können? Das grässliche Gewicht der Armbrust in meinen Händen erinnert mich an meine Aufgabe. Ich hasse Armbruste, habe sie schon immer gehass t – es sind schreckliche Waffen, grausam und distanziert, noch nie habe ich sie gern angefasst, nicht einmal gern angesehen. Es kommt mir so vor, als hätte ich seit meiner Geburt gewusst, dass ich einst eine Verabredung mit einer Armbrust haben würd e – eine Verabredung, die ich niemals hatte einhalten wollen.
    Schniefend reibe ich mir wieder die Augen. Ich wünschte, ich wäre ein richtiger Mann, wünschte, ich hätte nicht so große Angst. Ich bin sechzehn, längst alt genug, um zu töten und zu sterben, viel älter als damals, als ich miterlebte, wie mein Vater starb, der noch um einen letzten Atemzug rang, nachdem man ihn schon fast in Stücke gehackt hatte. Sein Tod war genauso unabwendbar gewesen wie dieser hier. Wozu also die Angst und die Trauer?
    Ich reiße die Augen auf. Räder rattern über das Straßenpflaster, ich werfe einen Blick über die Schulter. Dies ist ein guter Aussichtspunkt, aber sobald ich schieße, werden sie mich entdecken, und ich werde mich sputen müssen, um rechtzeitig die Turmmauern hinunterzugelangen und zu verschwinden. Doch darüber kann ich mir jetzt noch keine Gedanken machen. Das leise Gemurmel des Pöbels ist zu einem Chor angeschwollen, als hätte schwarze Magie die vielen Kehlen in eine einzige, röhrende Kreatur verwandelt. Ich zwinge mich hinzusehe n – und ringe nach Luft.
    Das ist nicht mein Bruder, vollkommen unmöglich. Das ist nicht Cù Chaorach, der Hütehund, der Vater des Clans. Noch nie war er so mager. Sein Gesicht ist zur Hälfte geschwärzt und blutverschmiert, sein Haar grob geschoren. Das Hemd hängt ihm in Fetzen vom Leib, durch die Schlitze kann ich die blutigen Striemen erkennen, die eine Peitsche auf seinem Rücken hinterlassen hat.
    Oh nein. Bitte nicht. Das Mädchen ist bei ihm. Es dürfte kaum älter sein als ich und hat wohl schon öfter Prügel bezogen. Arme, dumme Gans. Noch nie habe ich in einem Gesicht solche Wunden, solch ein Entsetzen gesehen, und sie weint bitterlich. Ihrer beider Hände sind gefesselt, aber Conal drückt seine Schulter fest gegen ihre, und als sie auseinandergerissen und vom Wagen heruntergestoßen werden, steht er schnell wieder auf und presst sich hastig an sie. Ein dunkler Fleck prangt auf ihrem schmutzigen grauen Gewan d – sie hat eingenässt. Und mein Bruder, der großmütige Narr, sorgt sich um sie. Dabei ist sie doch eine von denen und würde sich unter anderen Umständen mit dem Rest des Pöbels zusammentun, um ihn niederzubrüllen.
    Er wendet sich ihr zu, seine Lippen bewegen sich. Sinnloses Gerede. Wahrscheinlich sagt er ihr, dass es schnell vorbei sein werde, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Dieser Lügner.
    Bei allen Göttern, Conal, du willst wirklich, dass ich zweimal schieße. Ob mir dafür genügend Zeit bleibt?
    Ich schaffe das nicht allein. Ohne ihn war ich noch nie zu etwas zu gebrauchen. Ich kann nicht anders und stoße in Gedanken einen Schrei aus.
    Conal!
    Er hört auf zu reden, schaut aber nicht zu mir hoch. Als er dem Mädchen wieder etwas zuflüstert, breitet sich ein Lächeln auf seinem zerschundenen Gesicht au s – ein glückseliges Lächeln.
    Seth!
    „Schaut euch den Hexer an, seht nur, wie er grinst!“ Aus der Menge kommt ein Gegenstand geflogen, streift Conals Wangenknochen, lässt ihn taumeln. „Kannst es wohl kaum erwarten, du Abschaum? Bald stehst du deinem Meister gegenüber.“
    „Na ja, so bald nun auch wieder nicht!“ Jemand lacht heiser auf. „Mal sehen, ob er immer noch so dämlich lacht, wenn er brennt!“
    „Ausgeburt des Teufels! In der Hölle wird ihm das Grinsen schon vergehen!“
    Die Hasswelle, die mich überrollt, ist so
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