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Mord Im Kloster

Mord Im Kloster

Titel: Mord Im Kloster
Autoren: Philipp Espen
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Verantwortung für alle Menschen gespürt. Und wir haben für ihre Erlösung die nächtlichen Gottesdienste gehalten, gerade die nächtlichen, in denen das Wort Christi die Finsternis erhellte. In solchen durchwachten, ja durchkämpften Nächten erneuerten wir die Zeit der Bereitschaft, der Erwartung. Und gewiss nicht nur für uns selbst.«
    »Nein«, sagte Uthman. »Aber Joshua hat dennoch ganz Recht. Ich weiß, dass die Anführer der Kreuzfahrer versuchten, eine andere Zeiterfahrung einzuführen. Die sinnvolle Einteilung der Christen in drei Vigilien, den Nachtwachen zu jeweils drei Stunden, hoben sie auf. Sie zerstörten diese zutiefst natürliche Einheit, sie unterteilten die Nacht und schließlich auch den Tag in die Zeit des kalten Hasses – nämlich des Angriffs und des Tötens von Feinden. Das war neu, und es ist zutiefst ungläubig. Die Zeiterfahrung von uns Muslimen beachteten sie schon gar nicht. Dass wir fünfmal nach Mekka beten – unsere ureigene Zeit –, das wollten sie nicht einmal sehen, geschweige denn respektieren.«
    »Für uns Juden ist die Nacht Unzeit«, sagte Joshua. »Weil Licht und Wärme fehlen, alle Ordnung sich auflöst, das Leben still steht und vernünftiges menschliches Wirken unmöglich wird. Wir Juden empfinden die Nacht immer als dunklen Urgrund unliebsamer Überraschungen, als Zurückweichen des Lebens. Wir begegnen dem durch Licht, Gesang und Gebet. – Aber Uthman hat Recht, als die christlichen Kreuzfahrer kamen, führten sie ihre eigene mörderische Zeit ein.«
    »Dennoch behielt alles seine eigene Zeit«, beharrte Henri. »Auch die Kreuzfahrer legten natürlich ihre religiösen und kultischen Handlungen auf bestimmte Zeiten fest, in denen der Krieg verpönt war und dann stillstand.«
    »Für uns«, sagte Joshua nachdenklich, »ist jeder Tag ein Abbild, eine zusammenfassende Erinnerung der Geschichte des Herrn mit seinem Volk. Jeder Abend vergegenwärtigt den Auszug unseres Volkes aus der Knechtschaft in Ägypten, jeder Morgen erinnert an den Bundesschluss am Berg Sinai. Dieses tägliche Gedächtnis der Heilsgeschichte begingen wir bis zu seiner Zerstörung durch die Abendopfer und die Morgenopfer im Tempel Salomons. Als das Exil kam, sind an die Stelle der Opfer feste Gebetszeiten getreten, die in den Synagogen eingehalten werden. – Wie gern würde ich wieder in einer Synagoge beten! Wie gern würde ich wieder den siebten Tag feiern, den stillstehenden Tag, den Sabbat.«
    »Warte, bis wir in Lübeck sind«, tröstete ihn Henri. »Dort geht jeder von uns in seine Kirche. Danach sind wir für alles gerüstet.«
    »Eine schöne Vorstellung.«
    Uthman sagte: »Du hast Recht, Joshua, der Schöpfungsgott Israels ist ein Gott der Arbeit und der Muße. Und der Mensch hat an diesem Wesen teil, er ist homo faber, der tätige Mensch, und homo festivus, der Mensch, der sich auch in Muße, Feier und Spiel verwirklicht. Das gilt für Juden und für Christen gleichermaßen…«
    »Wie klug unser Sarazene daherredet, seit er in der Bibliothek von Cordoba studiert!«
    Uthman beachtete Henris Einwand nicht. »… Aber nimm einmal Christen wie unseren Henri. Er kennt den Ausgleich nicht, er gibt nie Ruhe. Er muss immer…«
    »Aber hör mal!« Henri begehrte auf. »Das meinst du wohl nicht ernst. Hast du nicht selbst auf unseren Reisen immer wieder…«
    Joshua sagte empört: »Ach, hört doch auf! Immer dieser Streit! Ich verbiete euch…«
    Unbeirrt von diesem Schlagabtausch zog die Hulk ihre Bahn nach Westen. Nur ein paar Wolken waren aufgezogen, und die Abendsonne versuchte, sie mit ihren Strahlen zu durchdringen. Das Segel der Hulk war mäßig gespannt.
    Das Schiff war den Koggen ähnlich, und die Gefährten erinnerten sich oft an ihre Abenteuer auf einer dieser Hansekoggen entlang der slawischen Küsten. Sie sahen noch vor ihrem geistigen Auge, wie estnische Piraten die Kogge in der Narwabucht versenkten und sie in die Gefangenschaft verschleppt hatten. Henri ging nach ihrem unterbrochenen Gespräch auf der Hulk herum und versuchte, die unguten Erinnerungen an die Zeit mit dem Deutschorden abzuschütteln. Dieses Frachtschiff war kleiner, hatte ein Rahsegel und ein hinten angehängtes Ruder, der Mast wurde von Wanten und Stage gehalten. Henri beugte sich über die Reling und starrte in das grüne Wasser, er verspürte noch immer den Schmerz, den das grausame Kielholen über den rauen Schiffsboden verursacht hatte. Grimmig dachte er, man sollte Hulks zukünftig mit glatten äußeren
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